Wie lange werden die Einrichtungen durchhalten können?
Karlsruher Kulturszene liegt am Boden

Foto: Kulturring
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Karlsruhe. Die Kulturlandschaft gilt in Karlsruhe als so vielfältig und reich wie in kaum einer anderen vergleichbaren Großstadt in Deutschland. Seit dem 13. März ist ihre Vielfältigkeit und hohe Qualität vor eine schwere existenzielle Probe gestellt. Dabei wird die Redensart „Die Ersten werden die Letzten sein“ in fataler Weise für die auf Veranstaltungen, Konzerte, Theaterauf- und Filmvorführungen spezialisierten Institutionen zum Leit- und Leidspruch.

Denn waren die Veranstaltungszentren und Festivals als erste vom Lockdown betroffen, so werden viele von ihnen die letzten sein, für die so etwas wie Normalität nach der Corona-Krise wieder wird einkehren können. Dies betrifft grundsätzlich alle Einrichtungen, die sich im "Kulturring Karlsruhe" zusammengeschlossen haben. Die Auswirkungen sind dabei für die einzelnen unterschiedlich zu betrachten.

Das Gewicht der Kulturring-Einrichtungen
Mit Jazzclub, Jubez, Substage, der Kinemathek, den Filmfestivals dokka und Déjà Vu Stummfilm-Festival, der Alten Hackerei (SAU e.V.), dem KOHI Kulturraum, Kulturhaus Mikado, NUN Kulturraum, dem Studentischen Kulturzentrum am KIT sowie den Kulturzentren P8, Tempel und Tollhaus und dem kulturpädagogischen Werkraum erreichten die Träger des Kulturrings 2019 mit knapp 2200 einzelnen Veranstaltungen über 340.000 BesucherInnen. Dies ist eine Größe, die deutlich über der Einwohnerzahl von Karlsruhe liegt. In den Einrichtungen und Initiativen des Kulturrings arbeiten und engagieren sich mehr als 50 Festangestellte, weit über 100 Minijobber sowie gut 500 Ehrenamtliche. Mit seinen zahlreichen und vielfältigen Angeboten auch zur aktiven Teilnahme tragen die Einrichtungen des Kulturrings erheblich zur kulturellen Vielfalt und dem Standortvorteil Karlsruhes bei.

Individuelle Maßnahmen gegen die Krise
So unterschiedlich die Größe und Struktur der einzelnen Zentren, Kulturräume und Festivals ist, so vielfältig sind auch die Maßnahmen und Möglichkeiten, mit denen sie angesichts der Corona-Krise ihre Fortexistenz zu retten suchen. Sechs von 14 Kulturring-Einrichtungen haben für ihre Mitarbeiter Kurzarbeit beantragt, ebensoviele haben Arbeitsverhältnisse mit Honorarkräften und Minijobbern beendet. Neun Einrichtungen haben bei Bund oder Land Soforthilfe beantragt. Zehn von 14 Einrichtungen suchen Unterstützung durch Spendenkampagnen, Crowdfunding und Solidaritätsmitgliedschaften. Dagegen haben bislang nur drei Kulturring-Mitglieder durch die Stundung ihrer Mieten für drei Monate ihre laufenden Kosten reduzieren können.

Wie lange werden die Einrichtungen durchhalten können?
Gemein ist allen Kulturring-Einrichtungen, dass es zum jetzigen Zeitpunkt noch keinerlei Perspektive gibt, wann sie wieder auf der Grundlage ihrer bisherigen Wirtschaftlichkeit werden arbeiten können. Während zwei Einrichtungen ohne umfangreiche Hilfsmaßnahmen bereits mit Herbstbeginn vor dem Aus stehen, sehen andere, die aufgrund geringerer Unkosten, höherer Rücklagen oder angemessenerer öffentlicher Unterstützung länger durchhalten können, eine existenzielle Bedrohung erst mit dem Jahresende auf sich zukommen. Immerhin fürchten die Hälfte der Kulturringmitglieder ernsthaft um ihre Weiterexistenz.

Die Auswirkungen eines eingeschränkten Betriebs
Für alle Kulturakteure besonders nervenzehrend ist ohne Frage die völlige Unsicherheit, aus der heraus man sich von der Politik im Zweiwochentakt einen Silberstreif am Horizont erhofft. Gewiss scheint hingegen, dass man sich zunächst einmal, vielleicht auch für lange Zeit auf einen Notbetrieb einrichten muss. Ein solch eingeschränkter Betrieb mag zwar in gewissem Maße das dringende Bedürfnis der Bevölkerung auf eine kulturelle Grundversorgung befriedigen, kann aber nicht im Ansatz zur wirtschaftlichen Gesundung der von der Krise dauerhaft betroffenen Einrichtungen beitragen.

Immerhin sehen zehn der 14 Kulturring-Einrichtungen eine eingeschränkte Öffnung als mögliche Perspektive, in der Summe erwarten sie zusammen jedoch angesichts des erhöhten Aufwands bei stark verminderter Publikumskapazität bis zum Jahresende 2020 ein Defizit von rund einer Million Euro auf sich zukommen.

Notwendige Konsequenzen aus der Krise
Anders als staatliche oder städtische Kultureinrichtungen trifft die freie Kulturszene, die einen wesentlichen Anteil am kulturellen Reichtum Karlsruhes hat, eine Krise wie die gegenwärtige Pandemie mit voller Wucht, da sie bei relativ geringer öffentlicher Unterstützung kaum abgefedert ist. Mit großer Sorge sehen sich die im Kulturring zusammengeschlossenen Einrichtungen einer Lage gegenüber, die von länger andauernder Verunsicherung der Akteure und ihres Publikums geprägt sein wird. Ohne staatliche und kommunale Rettungshilfe und Notfallfonds droht hier ein kultureller Kahlschlag, der das gesellschaftliche Leben um Jahrzehnte zurückwerfen würde. Auch kulturelle Leuchttürme sind ohne eine breite Kulturlandschaft nicht denkbar, die Basis und Nährboden für Innovation und künstlerischen Höhenflug bildet. Daher wenden sich die Kulturring-Mitglieder mit diesem kritischen Zustandsbericht an die Öffentlichkeit und suchen den Kontakt zu Politikerinnen und Politikern auf allen entscheidenden und beratenden Ebenen. So laden sie herzlich und jederzeit zum Gespräch darüber ein, aus der Krise die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und gemeinsam dauerhafte Perspektiven für eine auch in kommenden Jahren noch blühende Kulturlandschaft zu entwickeln.

Schlaglichter auf einzelne Zentren und Organisationen
KOHI am Werderplatz: Als eines der kleineren Häuser befürchtet das KOHI am Werderplatz wegen seiner beengten räumlichen Verhältnisse auf längere Zeit keine Liveveranstaltungen mehr durchführen zu können. Es setzt als Vorreiter der Karlsruher Kulturszene auf ein konsequentes Livestreaming mit Talks, Online-Ausstellungen und Bildbesprechungen, Konzertaufzeichnungen und Lesungen. Dabei werden auch internationale Kontakte digital weitergepflegt. Nennenswerte Einnahmen lassen sich auf diesem Wege verlässlich jedoch nicht erzielen. Dennoch sieht das KOHI seine Existenz nicht bedroht.

Substage: Am schnellsten und konsequentesten hatte der Musikclub Substage ausgerechnet, dass trotz Kurzarbeit seiner Mitarbeiter, gewährter Corona-Sofort Hilfe, Einsatz der städtischen Zuschüsse und sämtlicher Rücklagen aus den vergangenen 30 Jahren der Musikclub ohne erhebliche Rettungshilfe zum 1. Oktober 2020 Konkurs anmelden muss. Monatlich schlagen hier Fixkosten von 40.000 Euro zu Buche, die selbst durch erfolgreiche Spendenaufrufe nicht zu decken sind.

Jazzclub: Den Karlsruher Jazzclub trifft die Corona-Krise zur gegenwärtigen Zeit nicht so hart, da er sein Programm des Umbaus seines künftigen Domizils wegen eh auf ein Minimum heruntergefahren hatte. Großer Beliebtheit erfreuen sich die wöchentlichen „Baustellen“-Konzerte im Stream, bei denen lokale Formationen den Jazz ins Haus der Fans bringen. Raum und Technik stellt der Jazzclub auch anderen Einrichtungen zur Verfügung. Eine aus künstlerischer und wirtschaftlicher Sicht befriedigende Basis kann dies freilich auf Dauer nicht bieten. Große wirtschaftliche Befürchtungen hegt der Jazzclub im Bezug auf eine „Teilöffnung“, bei der die Einnahmen der Konzerte nicht mehr die Ausgaben decken können. Eine existenzbedrohende Situation sieht der in seiner mehr als 50-jährigen Geschichten nicht selten leidgeprüfte Verein indes in der derzeitigen Krise nicht.

Alte Hackerei: Die Alte Hackerei ist seit dem 11. März 2020 geschlossen. Seitdem sind Bar, Konzert- und Veranstaltungsbetrieb eingestellt und der SAU e.V. wie auch die Alte Hackerei haben keine Einnahmen mehr. Sie bemühen sich um eine kontinuierliche Onlinepräsenz, um mit ihrem Publikum weiterhin verbunden zu bleiben. Die Solidarität der Gäste und Besucher mit Verein und Spielstätte manifestieren sich in der großen Resonanz auf einen schellen Spendenaufruf. Trotzdem ist die wirtschaftliche Existenz der Alten Hackerei und damit die Spielstätte des Sau e.V. durch die schwer einschätzbare Lage und drohende Einschränkungen sehr bedroht. Die über Jahre gebildeten Rücklagen für Notfälle werden jetzt in rasanter Geschwindigkeit aufgebraucht und so droht zum 1. Oktober der Gang in die Insolvenz.

P8: Über genügend eigene Rücklagen, um unter Einsatz von staatlichen Hilfen und eigenen Spendenkampagnen bis zum Jahresende durchzuhalten, verfügt das vom Panorama e.V. betriebene Kulturzentrum P8 in der Nordstadt. Doch zum Januar 2021 muss das kleine Kulturzentrum neue Räume beziehen, die momentan auch noch nicht gefunden sind. Zum Jahresende wären durch die Krise allerdings auch die Mittel aufgebraucht, die das P8 dringend für Umzug und Neuausstattung benötigt hätte. Seine Weiterexistenz sieht das P8 daher aus doppelter Sicht als sehr gefährdet an.

Kulturzentrum TOLLHAUS: Im Vergleich mit den anderen soziokulturellen Zentren im Land Baden-Württemberg, die in der Regel von Kommune und Land zu mindestens einem Drittel ihres Umsatzes gefördert werden, ist das Kulturzentrum TOLLHAUS mit einem Förderanteil von gut 10 Prozent seines Haushalts das bislang mit Abstand am wenigsten öffentlich unterstützte Zentrum seiner Größe. Nun droht dem TOLLHAUS der eigene Erfolg auf die Füße zu fallen, denn abgesehen von der Ausgabenminderung durch Kurzarbeit, in die das Kulturzentrum die meisten seiner über 20 Festangestellten schicken musste, rechnet das Kulturzentrum bei anhaltender Schließung mit einem monatlichen Defizit von rund 45.000 Euro. Auch ein eingeschränkter Spielbetrieb wird wohl kaum das Minus mindern können, vielmehr steht das Gegenteil zu befürchten. Spätestens zum Jahresende wird das TOLLHAUS seine Rücklagen und Möglichkeiten aufgebraucht haben.

Werkraum Karlsruhe: Auch für die kulturpädagogische Initiative Werkraum sind sämtliche Aktivitäten mit TeilnehmerInnen und Schulen heruntergefahren. Auch wenn von den internen TeilnehmerInnen bislang solidarisch alle Beiträge weiterbezahlt werden, sorgt sich der Verein, der im Schnitt 45% seiner Umsätze aus vielfältigen Projektfördermitteln, Beiträgen, Schulprojekten und Workshop-Einnahmen generiert, um das weitere Fließen der Mittel von Stadt, Land und Bund. Derzeit wird aus finanziellen Gründen die Aufgabe der FSJ-Stelle erwogen. Bis zum Sommer stehen außerdem Renovierung und Umzug auf den Schlachthof an. Wenn es keine weitere Hilfe und Zusagen gibt, befürchtet Werkraum zum 1. Dezember einen Zahlungsengpass.

Kinemathek: Unklar erscheint die Situation der Kinemathek, da bei ihrem Status als Kommunalem Kino die bisher geschnürten Rettungsprogramme von Bund und Land für Programmkinos nicht greifen. Hinzukommt, dass durch nicht absehbare Verzögerungen beim Umbau des Bürobereichs im Kinogebäude derzeit noch doppelte Mieten anfallen und Kredite zurückgezahlt werden müssen. Daher sieht sich die Kinemathek bedroht, ohne beziffern zu können, wann die Existenz tatsächlich auf dem Spiel steht.

"Ernst aber nicht hoffnungslos": Unter diesem Motto lässt sich vermutlich die Lage der übrigen Kulturring-Mitglieder zusammenfassen, die wie das Studentische Kulturzentrum am KIT, das Jubez, Tempel und Mikado derzeit von keiner den Bestand in Frage stellenden Krise ausgehen. Dass darüber hinaus Festivals wie das für 2020 abgesagte Dokumentarfestival dokka ausfallen, ist ein weiterer Aspekt der Corona-Krisa, das sämtliche 16 der von Kulturring-Einrichtungen ausgerichteten Festivals betreffen kann. (jf)

Autor:

Jo Wagner

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