Katharina Missling im Interview zu „Mannheim spricht“
„Den Menschen hinter der Meinung begegnen“

Katharina Missling, Mitorganisatorin von „Mannheim spricht“.  Foto: privat
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  • Katharina Missling, Mitorganisatorin von „Mannheim spricht“. Foto: privat
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Mannheim. Am 1. Juni fiel der Startschuss zum Projekt „Mannheim spricht“, das der wachsenden Spaltung der Gesellschaft etwas Positives entgegensetzen will. Die Idee, das von ZEIT ONLINE entwickelte Dialogformat „Deutschland spricht“ in die Quadratestadt zu holen, hatte die Mannheimerin Katharina Missling. Im Interview mit dem „Wochenblatt“ erläuterte die 32 Jahre alte Projektmanagerin im Bereich Bildung ihre Motivation.

???: Was war für Sie der ausschlaggebende Moment, das Dialogformat von ZEIT ONLINE in Mannheim zur Durchführung vorzuschlagen?
Immer häufiger merke ich, dass wir den Menschen hinter der Meinung nicht mehr wahrnehmen. Eine einzige Meinung reicht aus, um einen Menschen in eine Schublade zu stecken. Das ist mir das erste Mal in der Flüchtlingskrise 2016 aufgefallen. Die Meinung eines Menschen tritt in den Vordergrund und die Beweggründe für diese Meinung werden nicht mehr nachvollzogen. Schon damals habe ich mir gewünscht, dass Menschen aufeinander zugehen, mehr miteinander reden und versuchen, diese Beweggründe zu verstehen. Denn ich bin überzeugt: in den meisten Fällen sind die Beweggründe für eine Meinung sehr menschlich, zum Beispiel weil man sich selbst schützen möchte. Dieses Verständnis für die Beweggründe hinter der Meinung hilft, eine gegensätzliche Meinung in den Kontext zu setzen, nimmt den Menschen als Ganzes wahr und vermeidet es, Feindbilder aufzubauen. Dann kam die erste Runde „Deutschland spricht“, eine Idee von ZEIT ONLINE die heute von der Plattform „My country talks“ umgesetzt wird, und ich war begeistert! Genau so ein Format hatte ich mir vorgestellt. Und es wurde absolut professionell, effizient und sympathisch umgesetzt. Dieses Format hat mich gedanklich begleitet bis zum Bürgerhaushalt 2019, wo ich die Idee eingereicht habe, „Deutschland spricht“ auf kommunale Ebene zu holen. Denn wenn man flächendeckend eine Wirkung erzielen möchte, dann müssen die Kommunen mit einbezogen werden.

???: War es sehr schwer, Mitstreiter zu finden? Im Bürgerhaushalt fand ein Antrag von Ihnen ja keine Mehrheit?
Dass ich Mitstreiter gefunden habe, war ein glücklicher Zufall. Die liebe Sylvia Löffler von der Stadt Mannheim war auf meine Idee im Bürgerhaushalt gestoßen und war genauso überzeugt davon, ein Austauschformat wie Mannheim spricht auf kommunale Ebene zu holen wie ich. Sylvia ist in Mannheim sehr gut vernetzt und wusste, dass Adrian Tavaszi, Leiter offenes Programm in der Abendakademie, eine ähnliche Idee verfolgt. Wir haben uns zusammengetan, weitere Unterstützer gesucht und einen Antrag bei der Stadt Mannheim für die Finanzierung gestellt. Erfolgreich. Jetzt wird das Projekt im Rahmen der 2021 bewilligten einander.Themeninsel „Zusammenhalt in der Vielfalt“ über Mittel des Bundesprogramms Demokratie leben! gefördert. Wir sind ein Team von acht Personen. Ganz tolle Menschen, die ihre Expertise in die Organisation von Mannheim spricht einbringen. In den meisten Fällen ehrenamtlich. Ohne sie wäre „Mannheim spricht“ nicht Realität geworden. Übrigens ist neben „Mannheim spricht“ noch ein weiteres Austauschformat in der Mache. Es geht darum, Begegnungen zwischen Menschen zu ermöglichen, die sich im Alltag normalerweise nicht treffen.

???: Wie funktioniert „Mannheim spricht“ genau? Wie kann man teilnehmen?

Auf www.mannheimspricht.de haben wir sieben Fragen gestellt, die man mit „ja“ oder „nein“ beantwortet. Dann muss man sich registrieren. Ein Programm hilft uns herauszufinden, welche Personen auf die Fragen unterschiedlich geantwortet haben. Diese Personen werden zu Paaren geordnet, gematched. Wenn ein Partner für das Gespräch gefunden wurde, werden die beiden Personen darüber informiert. Beide Personen müssen dem Gespräch zustimmen. Erst dann werden Kontaktinformationen ausgetauscht, damit sich die Gesprächspartner für das Gespräch verabreden können. Das kann virtuell, auf einem Spaziergang, in einem Café oder in den Räumlichkeiten der Abendakademie geschehen. Das überlassen wir ganz den Gesprächspartnern. Für das Treffen ist der Zeitraum vom 16. bis 18. Juli vorgesehen.

???: Wie macht sich denn die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in ihrem Alltag bemerkbar?
Man überlegt genau, mit wem man über ein bestimmtes Thema sprechen kann. Ich bemerke das an mir selber, höre aber auch von Freunden und Bekannten, dass sie sich nicht mehr trauen, ihre eigene Meinung zu sagen, wenn sie mit Fremden sprechen oder mit Menschen, von denen sie schon wissen, dass sie eine andere Meinung haben. Es macht mich sehr traurig, dass eine Meinung zu einem Thema immer öfter auch zur Verurteilung der gesamten Person führt.

Bemerken Sie diese Spaltung auch in Mannheim?
Ich bemerke in Mannheim definitiv die Hemmung, die eigene Meinung zu äußern aus Angst vor Verurteilung der eigenen Person. Die Herausforderungen in unserer Gegenwart und Zukunft – Pandemien wie aktuell Covid-19, Klimawandel, Flüchtlingskrisen – werden uns immer häufiger ganz persönlich und direkt treffen. Wenn wir uns weiterhin nicht trauen, unsere eigene Meinung zu sagen, dann fürchte ich nicht nur eine Spaltung der Gesellschaft, sondern auch, dass wir für die großen und kleinen Fragen unserer Zukunft keine Antworten finden werden. In Mannheim sehe ich zum Beispiel die Frage, ob die Quadrate autofrei werden sollen, als Herausforderung für den Zusammenhalt der Stadtgemeinschaft.

Welche Ursachen könnte es haben, dass sich eine Spaltung vollzieht?
Ich erlebe, dass die meisten an eine Diskussion herangehen, wie ein Politiker Wahlkampf macht. Es geht darum, jemand anderen von der eigenen Meinung zu überzeugen. Es wird schnell hitzig und emotional. Das ist zwar ein Zweck von einer Diskussion, aber es gibt einen weiteren: nämlich vom Diskussionspartner zu lernen, mit neuem Wissen, einem Erkenntnisgewinn aus der Diskussion zu gehen. Für mich ist das Schritt eins. Ein essenzieller Teil der Meinungsbildung.

Finden Sie, dass die Corona-Pandemie diese Spaltung befördert/beschleunigt hat?
Ich glaube die Corona-Pandemie verstärkt viele Probleme, die schon vor Corona entstanden sind. Eine fehlende offene, respektvolle Debattenkultur ist eins dieser Probleme.

Haben Sie das Gefühl, dass dieses Dialogangebot in Mannheim auf fruchtbaren Boden fällt und auch über den Veranstaltungs-/Projektzeitraum hinauswirkt?
Es ist ein Angebot an alle Bürgerinnen und Bürger Mannheims, diese offenherzige, bunte Stadt zu erhalten und sie gemeinsam zu der Stadt zu machen, in der wir in Zukunft leben wollen. Dieses Dialogangebot ist ein Werkzeug, mit dem wir das erreichen können. Aber es kann nur ein Anstoß, ein Impuls sein. An dem eigenen Diskussionsverhalten muss jeder für sich arbeiten. Dafür schaffen wir im Rahmen von „Mannheim spricht“ übrigens Angebote, in denen man das eigene Diskussionsverhalten reflektieren und trainieren kann. Näheres findet man hier: www.mannheimspricht.de/rund-um-das-event/. Ich arbeite auch noch an meinem eigenen Diskussionsverhalten. Das ist ein kontinuierlicher Prozess. Genauso verhält es sich auch für eine Stadtgemeinschaft. Man muss immer wieder zusammenkommen und miteinander reden. „Mannheim spricht“ ist ein Anfang, ein Versuch. Wenn es gut angenommen wird, werden wir vom Projektteam überlegen, welche Wege es für eine wiederkehrende Umsetzung von „Mannheim spricht“ geben kann.
Interview: Christian Gaier

Weitere Informationen:
Mannheim gehört zu den ersten Städten, die das etablierte Format „Deutschland spricht“ von ZEIT ONLINE auf die kommunale Ebene holt. Die Initiatorinnen wollen damit Bürger und Bürgerinnen der Stadt miteinander ins Gespräch bringen. Das Team Mannheim spricht besteht aus: Dr. Mauser (Stadt Mannheim, Fachbereich Demokratie und Strategie), Sylvia Löffler (Stadt Mannheim, Koordination Mannheimer Bündnis für ein Zusammenleben in Vielfalt), Gerd Arnbruster (als Privatperson - IT-Verantwortlicher der Stadt Mannheim), Dr. Adrian Tavaszi (Bereichsleiter Offenes Angebot MAA), Monika Simikin
(Programmbereichsleiterin Schulen, Grundbildung und Bildungsprojekte), Katharina Missling (als Privatperson) sowie Simon Ellerbrock und Manuel Neumann (Doktoranden am MZES). Das Projekt wird gefördert aus Mitteln des Bundesprogramms „Demokratie leben“ und der Stadt Mannheim. gai

Katharina Missling, Mitorganisatorin von „Mannheim spricht“.  Foto: privat
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Autor:

Christian Gaier aus Mannheim

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