Kulturwissenschaftler berichtet über Forschungen über ein NS-Wissenschaftsverbrechen und seine 86 Opfer
Leichen im Anatomie-Keller

Foto: Bild: cke
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Dudenhofen. Eins vorweg: Als Nazijäger kann man den in Dudenhofen aufgewachsenen Kulturwissenschaftler Hans-Joachim Lang gewiss nicht bezeichnen, auch wenn er bei der Vorstellung seiner Forschungen beim Verein für Heimatgeschichte und -kultur in Dudenhofen am vergangenen Mittwoch die Namen der Täter, Hintermänner, Mitwisser und Organisatoren eines im August 1943 wissenschaftlich angelegten Auftragsmordes an 86 jüdischen Frauen und Männern detailliert benennt und offenlegt. Da ist vor allem die Verantwortlichkeit des ehemaligen Direktors des Anatomischen Instituts der Reichsuniversität Straßburg, August Hirt, anzuführen. August Hirt hatte mit Billigung Himmlers im Rahmen des von Wolfram Sievers geleiteten SS-Projektes „Ahnenerbe“ systematisch 29 jüdische Frauen und 57 Männer selektieren lassen um die Skelette später nach „modernen Gesichtspunkten“ zu präparieren und anschließend in den Sammlungen der Medizinischen Fakultät in Straßburg für die Erweiterung seiner Schädel- und Skelettsammlung auszustellen. Bruno Beger und Hans Fleischhacker, zwei Anthropologen, die sich vor über 50 Jahren in einem aufsehenden Prozess in Frankfurt auch verantworten mussten, nahmen nach der Selektion im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz an den 86 Häftlingen Blutgruppenuntersuchungen vor, bevor diese in das elsässische KZ Natzweiler-Struthof verbracht und schließlich vom dortigen Lagerkommandanten Josef Kramer zwischen dem 11. und 18. August 1943 in vier Durchgängen vergast wurden. Wer die Ermordeten Toten waren, interessierte niemanden. Lediglich ihre KZ-Nummern waren heimlich notiert worden.
  
Nach der Konservation und auf Grund des weiteren Kriegsverlaufs verschwanden die 86 Leichen zunächst im Keller des Anatomie-Instituts, bevor sie nach der Befreiung Straßburgs im November 1944 dort aufgefunden und ihre sterblichen Überreste am 23. Oktober 1945 auf dem jüdischen Friedhof beerdigt wurden.
Soweit die wissenschaftlich erhobenen Fakten zu diesem begangenen 86-fachen Mord - nur eines von unzähligen nationalsozialistischen Verbrechen.
   
Hans-Joachim Lang geht es aber um mehr, als um die Dokumentation und Aufarbeitung dieses Verbrechens. Die Täter sollen nicht das letzte Wort haben, sein Antrieb wendet sich insbesondere gegen das Vergessen der Opfer. Nach jahrzehntelangen und weltweiten akribischen Recherchen konnte Lang den von ihm im Holocaust-Museum in Washington wieder aufgefundenen Nummern dieser Frauen und Männer nicht nur die Namen zuordnen und den Ermordeten wieder Gesichter verleihen, sondern auch ihre Herkunft herausfinden. Zudem gelang es ihm, zahlreiche Angehörige zu finden und mit deren Unterstützung die Lebensläufe zu rekonstruieren. Da ist zum Beispiel das Schicksal des aus der norwegischen Hafenstadt Larvik stammenden Norwegers Frank Sachnowitz, auf dessen Unterarm die Nummer 79238 eintätowiert wurde. Frank Sachnowitz kam mit seinen fünf Brüdern ins Lager Monowitz, wo er bei den Buna-Werken zu Zwangsarbeit eingeteilt wurde; Angehörige erfuhren zwar, dass Frank ins KZ Natzweiler im Elsass verschleppt wurde, dort verlor sich jedoch zeitlebens jede Spur. Der von Hans-Joachim Lang recherchierte Lebenslauf von Frank Sachnowitz spiegelt insoweit das Schicksal vieler im KZ Natzweiler-Struthof ermordeten jüdischen Frauen und Männer, aber auch die europäische Dimension der Verfolgung und Ermordung der Juden wieder: Die Opfer waren in verschiedenen europäischen Ländern geboren worden, hatten eine friedliche Kindheit verbracht und eine selbstbestimmte Zukunft vor Augen. Viele waren frisch verheiratet, manche hatten Kinder, alle standen sie mitten im Leben ehe sie in der Gaskammer ermordet wurden.
 
Dank der Arbeiten des Kulturwissenschaftlers erinnert heute auf dem jüdischen Friedhof von Straßburg auf dem Massengrab, in dem die Leichen nach dem Krieg anonym bestattet wurden, ein Stein mit den Namen an die Opfer. Zudem enthüllten Spitzenvertreter europäischer Institutionen gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten an der Gaskammer von Natzweiler-Struthof einen Gedenkstein, der die 86 Namen der dort ermordeten Jüdinnen und Juden nennt.
 
Lang will seine Recherchen fortsetzen: Noch gibt es einige dieser 86 Personen, über die er noch wenig in Erfahrung bringen konnte. Auch gibt es noch Angehörige, die davon ausgehen, dass ihre Vorfahren in Auschwitz umgekommen sind. Lang möchte sie ausfindig machen, damit sie in Gewissheit leben und - wie zuvor zahlreiche andere Verwandte aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Norwegen, Israel, Österreich und den Vereinigten Staaten auch - an den Orten der Erinnerung in Straßburg und Natzweiler-Struthof den Verstorbenen gedenken und deren Vermächtnis bewahren können. (cke.)
 
Weitere Informationen:
- Die Namen der Nummern - Wie es gelang, die 86 Opfer eines NS-Verbrechens zu identifizieren (Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2004). Die Namen der Nummern" ist 2018 als erweiterte Neuausgabe auf Französisch erschienen. Titel: "Des noms derrière des numéros. L'identification des 86 victimes d'un crime nazi. Une enquête."
- „Eine Schädelstätte moderner Forschung“, Beitrag Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.02.2019, Nr. 43, S. N3
- „Morden für die Schädelsammlung“, Beitrag in der Frankfurter Rundschau, 03.05.18
- Projekthomepage: https://www.die-namen-der-nummern.de
 
Zur Person:
Prof. Dr. Hans-Joachim Lang ist 1951 in Speyer geboren, in Dudenhofen aufgewachsen und absolvierte nach dem Abitur an der Universität Tübingen ein Studium der Germanistik, Kultur- sowie Politikwissenschaft. Bis 2016 war er Wissenschaftsredakteur beim Schwäbischen Tagblatt in Tübingen. Lang verfasste Bücher und zahlreiche Aufsätze über den Holocaust und über die jüdische Geschichte. Darunter auch Schilderungen über den grausamen Alltag in Block 10 des Stammlagers des KZ Auschwitz, wo an über 800 jüdischen Frauen Medizinversuche durch SS-Ärzte vorgenommen wurden und er bereits im Jahr 2014 beim Verein für Heimatgeschichte und -kultur Dudenhofen referiert hatte. Er erhielt für seine Arbeiten zahlreiche Auszeichnungen und Preise.

Autor:

Clemens Keller aus Römerberg-Dudenhofen

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