Holocaust-Überlebender Sally Perel mit beeindruckendem Vortrag im St. Paulusheim Bruchsal
"Auschwitz war ein Selbstmord der deutschen Kultur"

Zeitzeuge Sally Perel  im St. Paulusheim Bruchsal | Foto: Heike Schwitalla
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BruchsalSalomon "Sally" Perel ist ein Jude, der 1925 im niedersächsischen Peine geboren wurde und unter falscher Identität das Dritte Reich überlebt hat. Heute ist „Hitlerjunge Salomon“ 94 Jahre alt, lebt in Israel und kommt regelmäßig nach Deutschland, um Vorträge vor Schulklassen zu halten - wie am Mittwoch im St. Paulusheim in Bruchsal.

Seine Geschichte hat er in einem Buch aufgeschrieben, sie wurde als "Hitlerjunge Salomon" erfolgreich verfilmt und doch kann man das Schicksal dieses Mannes erst in vollem Umfang erahnen, wenn man ihn selbst über sein Leben berichten hört. Vor den Nazis floh er nach deren Machtergreifung mit seiner Familie ins polnische Łódź, von dort floh er nach dem deutschen Überfall auf Polen und der Einrichtung des Ghettos mit seinem Bruder in den sowjetischen Teil Polen, wo er in ein Kinderheim kam, aus dem ihn die Wehrmacht während des Vernichtungskriegs gegen die UdSSR gefangen nahm. Da er perfekt deutsch sprach, konnte er sich als Volksdeutscher ausgeben und seine jüdische Herkunft erfolgreich verheimlichen. Er arbeitete als deutsch-russischer Übersetzer für die Wehrmacht und nannte sich fortan Josef Perjell, kurz Jupp.
Nachdem er zwei Jahre an der Front war, wurde er zurück nach Deutschland geholt und kam bis kurz vor Kriegsende auf die Akademie für Jugendführung der Hitlerjugend in Braunschweig. 

Hitlerjunge Jupp und Sally Perel - Täter und Opfer in einer Seele

Was wie ein dramatisches Abenteuer klingt ist für Sally Perel jedoch viel mehr. Noch heute wird er, wie er berichtet von Alpträumen geplagt, noch heute lebt er mit zwei Identitäten im Konflikt: Dem Juden Sally und dem Hitlerjungen Jupp. Denn wie er selbst sagt, es keine Rolle, die er spielte, er wurde zu einem deutschen Hitlerjungen, verehrte den Führer, trug Hakenkreuz und folge den perfiden Ideologien der Nazis. "Es war kein Schauspiel", sagt er heute. "Ein Schauspieler kann sich an einem Abend versprechen, seinen Text vergessen und am nächsten Abend seine Rolle wieder perfekt spielen. Ich konnte mir keine Fehler erlauben, jeder Fehler hätte meinen Tod bedeutet." 
Man hört Perel zu, versteht die dauernde Angst des Teenagers, entdeckt zu werden, man spürt aber auch den Zwiespalt und die unterbewusste Schuld, die der 94-Jährige noch heute mit sich herum trägt. "Ich wurde sehr schnell ein guter Nationalsozialist, habe mich voll damit identifiziert." Auch die anderen Jugendlichen hätten damals nicht das Wissen gehabt, das System kritisch zu hinterfragen. "Millionen dieser Jungs sind später auf den Schlachtfeldern Europas gefallen. Sie konnten nie Väter und Großväter werden, weil ihr Gehirn von den Nazis vergiftet worden ist."
"Du sollst leben", habe ihm seine Mutter als letzte Worte beim Abschied aus dem Ghetto in Polen mit auf den Weg gegeben. Und diesem "Befehl" sei er gefolgt. Um diesem Anspruch seiner Mutter genüge zu werden, habe er seine Herkunft verleugnet und das Hakenkreuz getragen - nicht aus Überzeugung, sondern um zu überleben. Seine Eltern hat er nach diesem Abschied nie wieder gesehen.

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Er hat überlebt, ist nach dem Krieg und kurzer amerikanischer Gefangenschaft zuerst nach München gezogen und dann nach Israel ausgewandert. Heute sieht er es als seine Aufgabe an, der Jugend von den Schrecken des Naziregimes zu erzählen, als Zeitzeuge dafür zu sorgen, dass es nie wieder zu einer rechten Diktatur kommt. "Und doch hegt er keinen Groll gegen seine Heimat. Er komme immer wieder gerne nach Deutschland, die Menschen seien ihm stets freundlich gesonnen - und doch spürt er die gefährlichen rechten Strömungen, die dieses Land heute wieder erschüttern und hat eine eindringliche Botschaft für die jungen Menschen, die ihm gebannt zuhören: "Ihr tragt keine Schuld an den Verbrechen Eurer Großeltern oder Urgroßeltern, aber wenn Ihr das Gleiche nun wieder geschehen lasst und nichts gegen die Rechten tun, dann seid Ihr schuld. Denn Ihr könnt jetzt verhindern, dass es in Deutschland wieder zu Verfolgung und rechtem Terror kommt."

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"Es gibt keine bessern Geschichtslehrer als Zeitzeugen", so beginnt er seinen Vortrag. Nach einem Besuch in Auschwitz sei ihm bewusst geworden, dass er seine Geschichte erzählen musste - als Mahnung und Warnung für folgende Generationen: "Auschwitz war nicht nur der Mord an sechs Millionen Juden, Auschwitz war ein Selbstmord der deutschen Kultur. Ich höre das Schreien der Kinder aus der Asche von Auschwitz und ich möchte alle Jugendlichen impfen mit den Tränen dieser verbrannten Kinder - gegen die Neonazis, die heute wieder gewählt werden und sich überall ausbreiten und in manchen Bundesländern zu den stärksten politischen Kräften gehören. Ich bin einer der letzten überlebenden Zeitzeugen, aber heute mache ich Euch zu Zeitzeugen, indem ich Euch meine Geschichte erzähle. Erzählt sie weiter, sorgt dafür, dass die Schrecken der Nazizeit nie vergessen werden und dass sie sich nie wiederholen."

Autor:

Heike Schwitalla aus Germersheim

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