Seltsamer Brauch in Wiesental am 26. Dezember:
Aderlass statt Andacht am Festtag

Schmiede in Wiesental 1926
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Waghäusel.  Einen ganz seltsamen Brauch haben die Wiesentaler in der Mitte des 18. Jahrhunderts an Weihnachten gepflegt: Der zweite Weihnachtsfeiertag, der Gedenktag an den heiligen Stephanus, war für sie der Tag des Aderlasses. Den Nutzpferden in den Ställen wurden jeweils bis zu zehn Liter Blut abgezapft.
Pfarrer Kaspar Ignaz Käpplein hielt schriftlich, so um 1743, einen Hinweis auf eine unchristliche Gepflogenheit fest, die klammheimlich die Wiesentaler am Stefanstag, 26. Dezember, pflegten: Fast alle Bauern ließen am Fest des heiligen Erzmärtyrers ihre Pferde zu Ader. Diese geschehe in der Art und Weise, dass der Schmied seine Werkstatt öffne, seine grüne Kappe aufsetze und mit dem Schurzfell angetan öffentlich auf seinem Anwesen den Pferden Blut abzapfe.
Diese Sitte habe ein junger Schmied beanstandet. Wegen dieser Arbeit komme er nicht dazu, am Festtag andächtig und in gebotener Zeit die heilige Messe zu besuchen, erklärte der Handwerker dem Geistlichen. Ihm wäre es lieb, wenn dieser Brauch abgestellt würde, weil es sich um keinen Notfall handele und ein Aderlass auch an einem anderen Tag möglich sei. 1743 gab es in der rund 150 Häuser zählenden kleinen Bruhraingemeinde vier Schmiedemeister.
Niemand wisse, so Käpplein, warum es gerade an Weihnachten geschehe. Da diese Handhabung „der Heiligkeit eines so großen Festtags nicht angemessen ist“, komme er nicht umhin, dies dem Fürstbischof zu melden.
Ganz so kompliziert ist die Erklärung nicht: Der 26. Dezember ist der Tag der Pferde: Und Stephan ist ihr Heiliger, sogar der älteste Pferdepatron überhaupt. „Schon immer“ habe man Pferde zur Ader gelassen, heißt es in Überlieferungen. Wohl besteht eine Verbindung zu alten vorchristlichen Pferdeopfern, wie sie für die Germanen und Kelten belegt sind.
Eine plausible Erklärung hat Pferdeexpertin Saskia Henning aus Wiesental parat. Tierärzte gab es nicht, um die Tiere kümmerten sich die Hufschmiede. In alten Zeiten hatten die Bauern während der kalten Wintermonate keine Möglichkeiten, ihren Pferden in der engen Ständerhaltung die notwendige Bewegung zu verschaffen. Auf den Feldern wurden sie nicht gebraucht.
Mit dem Aderlass, der Blutverdünnung und damit dem Abbau des fütterungsbedingten Eiweißüberschusses verhinderten die Schmiede gefährliche Pferdekrankheiten wie “Hufrehe“ und „Kreuzverschlag“. Der Blutentzug regte den gesamten Stoffwechsel an und veranlasste den Körper, neues gesundes Blut zu bilden. Der 26. Dezember fiel mitten in den Zeitraum, in dem die Tiere verhältnismäßig lange in der Box stillstehen mussten.
In Wiesental gab es schon immer eine ausgeprägte Verehrung des heiligen Stephan. Daran erinnern die Stefanstraße und die Stefanskapelle. Papst Stephan ist seit Bischof Matthias von Rammung (1464 bis 1478) der Patron des Speyerer Doms. Daher rührt die alte Wiesentaler Bezeichnung „Stephansweg“, der direkt nach Speyer zum Sitz des Hochstifts führte.

Autor:

Werner Schmidhuber aus Waghäusel

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