MET Orchestra:Klangfarbenzauber
Spannungsfeld von Leidenschaft & Poesie

Im magischen Ambiente des Festspielhauses Baden-Baden offenbarte sich am 2. Juli 2023 ein musikalisches Feuerwerk von unvergleichlicher Finesse und Ausdruckskraft. Unter der glühenden Führung von Yannick Nézet-Séguin formte das Met Orchestra einen bunten, facettenreichen und dennoch thematisch schlüssigen musikalischen Bogen, der die Zuhörer in einen Zustand tiefer, fast spiritueller Hingabe versetzte.

Das Konzert eröffnete sich mit einer lebendigen Aufführung der "Sinfonischen Tänze" aus Leonard Bernsteins unsterblichem Meisterwerk "West Side Story". In einer zauberhaften Symbiose aus Energie und Emotion dirigierte Nézet-Séguin diese Stücke mit einer so beeindruckenden choreographischen Präzision, dass man nicht umhin konnte, in ihm eine moderne Reinkarnation von Bernstein selbst zu sehen. Diese energetische Strahlkraft wirkte wie ein Katalysator auf das Met Orchestra, das mit außergewöhnlicher Präzision und einem beinahe greifbaren Sinn für Gemeinschaftlichkeit reagierte.

Im zweiten Stück des Abends stellte das Auftragswerk "Heath. King Lear Sketches" von Matthew Aucoin das Publikum vor eine interessante Herausforderung. Obwohl technisch brillant ausgeführt und voller rhythmischer und texturaler Strukturen, schien es auf einer eher oberflächlichen Ebene des musikalischen Diskurses zu operieren. Die Komposition, obwohl sie mit hellen und überraschenden Momenten durchsetzt war, hinterließ ein Gefühl der Unzufriedenheit, als ob sie an der Oberfläche eines tiefen, unerforschten Ozeans kratzen würde, ohne jemals den Mut aufzubringen, sich in seine dunklen Tiefen zu wagen.

Danach erstrahlte das Met Orchestra erneut in vollem Glanz mit einer grandiosen Darbietung von Peter Tschaikowskys "Romeo und Julia Fantasie-Ouvertüre". Nézet-Séguins nuanciertes und tief emotionales Dirigat lenkte das Orchester durch das facettenreiche emotionale Spektrum des Stücks, von der leisesten Zärtlichkeit bis hin zu den gewaltigsten Ausbrüchen von Leidenschaft und Verzweiflung. Die Streicher des Met Orchestra verdienen dabei besondere Anerkennung, deren feinfühlige und technisch versierte Darbietung die herzzerreißende Essenz von Shakespeares tragischer Liebesgeschichte mit großer Tiefe und Sensibilität zum Ausdruck brachte.

Der Abend gipfelte nach der Pause in der meisterhaften Darbietung des vierten Akts aus Giuseppe Verdis "Otello". Die hervorragenden Leistungen von Angel Blue (Sopran, Desdemona), Russell Thomas (Tenor, Otello) und Deborah Nansteel (Mezzosopran, Emilia) verliehen den komplexen Charakteren Leben und Tiefe, indem sie ihre Rollen mit ebenso viel gesanglicher Virtuosität wie dramatischer Überzeugungskraft. 

Die magnetische Präsenz des Dirigenten Yannick Nézet-Séguin am Pult des Met Orchestra war ein seltener Genuss. Wie ein Meisterbildhauer formte er die komplexen und dynamischen musikalischen Strukturen von Verdis Meisterwerk und demonstrierte einmal mehr, warum er als einer der führenden Dirigenten unserer Zeit ist.

Vom ersten Moment an, als der erste Akkord durch den Raum schallte, bis zum letzten, emotional aufgeladenen Schlussakkord, schuf Nézet-Séguin eine Atmosphäre von intensiver Emotionalität und musikalischer Brillanz. Die weite, expressive Palette des Met Orchestra, eines der renommiertesten Opernensembles der Welt, fand hier ihren majestätischen Ausdruck. Endlich konnten Opernliebhaber den vollen Glanz dieses Spitzenorchesters genießen, dessen vielschichtige Klänge die opulente Pracht des Festspielhauses Baden-Baden in voller Schönheit ausfüllten.

Die gewaltigen Ausbrüche von Verdis Musik, von denen viele in den dramatischen Auseinandersetzungen und Konfrontationen des vierten Aktes ihren Ausdruck finden, wurden vom Met Orchestra mit atemberaubender Präzision und Leidenschaft zum Leben erweckt. Gleichzeitig gelang es Nézet-Séguin, in den stilleren, introspektiven Momenten, die feinen Schattierungen und Nuancen der Partitur zum Vorschein zu bringen. Es war ein ästhetisches Spiel von Licht und Schatten, ein fein gewebter Teppich aus Klangfarben und Emotionen, der den Zuhörer von Anfang bis Ende in seinen Bann zog.

Wie ein ästhetischer Vogelflug, so fließend und frei, gingen die gewaltigen Ausbrüche und die feineren, leidvollen Passagen ineinander über. Es war ein Zeugnis von Nézet-Séguins meisterhaftem Gespür für Timing und Dynamik, dass diese Übergänge so flüssig und organisch wirkten. Jeder Akzent, jede Pause, jede noch so kleine Verzögerung schien genau berechnet, um die größtmögliche emotionale Wirkung zu erzielen.

 Angel Blue, die die Rolle der Desdemona übernahm, verzauberte mich mit ihrem dunklen, doch prachtvollen Sopran.

Blues Stimme ist von einer tiefen, fast mystischen Qualität, die rar ist. Ihr dunkler Sopran, reich an nuancierten Farben und Texturen, schien von einer inneren Flamme beleuchtet, die den Raum mit ihrer Wärme und Intensität erfüllte. Jede Note, die sie sang, war voller Leidenschaft, als ob sie tief in ihrem Inneren entsprang und sich in der Musik entlud.

In den leisen, introspektiven Momenten der Partitur entfaltete sie eine beeindruckende Intimität und Verletzlichkeit, die mich tief berührte. Gleichzeitig waren ihre kraftvollen Ausbrüche voller Leidenschaft und dramatischer Intensität, die mich fast von meinem Sitz rissen. Es war, als ob Blue eine unsichtbare Verbindung zu Desdemona hergestellt hätte, und durch ihre meisterhafte Gesangsleistung schien sie die tiefsten Gefühle und innersten Gedanken des Charakters zum Ausdruck zu bringen. Sie zeigte eine seltene Fähigkeit, sowohl die subtilen als auch die dramatischen Aspekte der Rolle meisterhaft zu balancieren, und hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck.

Mit einer Stimme, die sich in ihrer Kraft und Schönheit gleichzeitig durchdringend und beruhigend anfühlte, dominierte Russell Thomas als Otello die Bühne. Jeder gesungene Ton schien aus der Tiefe seiner Seele zu kommen und verband sich zu einer Komposition aus Leidenschaft, Stolz und schließlich Verzweiflung. Seine Stimme, die einer sorgfältig gehämmerten Bronze-Glocke glich, resonanzierte im gesamten Saal.

Von den kraftvollen Höhen bis zu den donnernden Tiefen zeigte Thomas eine beeindruckende Bandbreite und Kontrolle über seine Stimme. Er entführte mich in eine emotionale Reise durch die Facetten von Otellos Charakter, vom tragisch Verliebten, mit einer stimmlichen Gewalt. Gleichzeitig war jede Note von einer tiefen Schönheit geprägt, die mich in ihren Bann zog und mich in einen Zustand tiefer Bewunderung versetzte.

In den dramatischsten Momenten war seine Stimme ein schallendes Echo der Emotionen Otellos, das den Saal erfüllte und mich in seiner rohen Intensität überwältigte. In den ruhigeren, leiseren Passagen ließ er seinen Tenor sanft schwingen, wie eine sanfte Brise, die einen Hauch von Melancholie und Sehnsucht mit sich bringt. Es war diese Fähigkeit, die kraftvollen und sanften Aspekte seiner Stimme miteinander zu verbinden, die seine Darstellung von Otello so einzigartig und faszinierend machte.

In der Nachwirkung von Thomas' beeindruckender Darbietung war ich tief bewegt von der Kraft und Schönheit seiner Stimme. Er hatte mich auf eine emotionale Reise mitgenommen, die mir die Tiefe und Komplexität von Otellos Charakter offenbarte und mir einmal mehr die transzendentale Kraft der menschlichen Stimme in Erinnerung rief. Es war ein Erlebnis! Ich plädiere auf Wiederholung, bis bald MET Orchestra.

Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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