Astrid Martin von der Telefonseelsorge
"Eine Stütze sein im Leben anderer"

Astrid Martin | Foto: privat

Speyer. Rund 85 Ehrenamtliche kümmern sich bei der ökumenischen Telefonseelsorge Pfalz täglich am Telefon und im Chat um Menschen in Krisen und Notsituationen. Cornelia Bauer hat mit Astrid Martin gesprochen, die die Telefonseelsorge von Seiten des Bistums Speyer leitet.

???: Was sind das für Menschen, die bei der Telefonseelsorge anrufen? Und mit welchen Anliegen?
Astrid Martin: Das ist sehr unterschiedlich. Nur ein Beispiel: Ein Mann, der eine Suchterkrankung überwunden hat, wegen eines Streits mit seiner Exfrau gerade seine Kinder nur selten sieht und deshalb droht, wieder in die Sucht abzugleiten, ruft bei uns an und sucht Hilfe und Unterstützung. Häufig sind es einsame und depressive Menschen, die sich bei uns melden. Manche suchen aber auch einfach nur jemanden, der ihnen zuhört. Die Nachfrage hat in der Pandemie noch weiter zugenommen und bringt uns an unsere Grenzen. Die meisten Anrufer melden sich nachmittags und abends. Wir arbeiten rund um die Uhr, teilweise in Doppelschichten. Im vergangenen Jahr kamen 60 Prozent der Anrufe von Frauen. Während die meisten Anrufer im Alter zwischen 50 und 70 sind, ist das Klientel, das über den Chat Hilfe sucht, deutlich jünger und schreibt lieber als zu telefonieren - auch von unterwegs und mit dem Smartphone.

???: Was glauben Sie, warum schätzen Ihre Klienten den Kontakt zur Telefonseelsorge?
Martin: Wir heißen zwar Telefonseelsorge, sind aber auch über E-Mail, Chat und Krisenapp rund um die Uhr erreichbar. Das ist ein sehr niederschwelliges Angebot. Der Kontakt ist absolut anonym, nirgendwo werden Daten gespeichert. Oft ist es für unsere Anrufer leichter, sich jemand völlig Fremdem anzuvertrauen. Zu wissen, da wird nichts weitergetragen, das ist ein geschützter Raum - das empfinden die Menschen, die mit uns Kontakt aufnehmen, als wertvoll. Es tut den Menschen gut, Dinge auszusprechen. Manchmal ist ein Gespräch genug, aber es ist auch völlig legitim, mehrfach anzurufen. Es zeichnet uns außerdem aus, dass man mit uns auch über Dinge sprechen kann, die innerhalb der Familie oder bei Freunden nicht thematisiert werden, Suizidgedanken zum Beispiel.

???: Und wer sitzt da am anderen Ende der Leitung? Was sind das für Menschen, die anderen in Krisensituationen helfen möchten?
Martin: Jeder unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter hat seine individuellen Erfahrungen, die ihn oder sie zu uns geführt hat. Manche haben selbst schwere Krisen erlebt und sind dankbar, dass ihnen geholfen wurde. Diese Erfahrung möchten sie weitergeben, eine Stütze sein im Leben anderer. Oder sie fühlen sich in ihrem Leben reich beschenkt und möchten etwas davon zurückgeben, indem sie anderen Menschen helfen.

???: Wie hält man das aus, wenn Menschen am Telefon zum Beispiel Suizidgedanken äußern?
Martin: Als Fremder, der die Person am anderen Ende der Leitung nicht kennt, kann man diesen Gedanken oft leichter aushalten, als überforderte Angehörige, die sich unter Druck gesetzt fühlen. Da wird ein Gespräch schnell von Ängsten dominiert. In der Ausbildung lernen die Mitarbeiter der Telefonseelsorge, auch mit schwierigen Themen umzugehen und nichts wegzureden. Tagsüber ist außerdem immer jemand da, der die Mitarbeiter betreut und mit dem sie sich austauschen können, und auch nachts gibt es stets jemanden als "Backup", den man anrufen kann. Wichtig ist auch, dass all unsere Mitarbeiter regelmäßig alle vier Wochen Supervision erhalten.

???: Ist die Pandemie bei Ihren Klienten ein Thema und Grund für die Kontaktaufnahme?
Martin: Die Pandemie hat vielerorts die Situation verschärft. Soweit wir das sehen, ist die Zahl der Menschen mit psychischen Problemen angestiegen. Und viele müssen wegen der Pandemie sehr lange auf Therapietermine warten. Auch auf stationäre Therapie. Für diese Menschen ist es sehr schwer, den Alltag ohne therapeutische Hilfe zu meistern. Wir können da nur eine kleine Lücke füllen, indem wir zurückmelden: Sie sind mit Ihren Problemen nicht alleine. Aber wir können nur ein Gespräch anbieten und sind keine Therapeuten. Da kommen wir an unsere Grenzen.

???: Haben sie vor den Feiertagen besonders viel zu tun?
Martin: Die Themen sind kurz vor den Feiertagen andere: Wie verbringe ich Weihnachten? Mit wem möchte ich feiern? Mein Mann ist gestorben - kann ich das überhaupt aushalten, Weihnachten zu feiern ohne meinen Partner? Wenn sich Teile einer Patchworkfamilie nicht verstehen: Wo gehe ich an Weihnachten hin? Wie kann ich eine gute Entscheidung treffen? Ganz aktuell aber auch: Was mache ich, wenn Teile der Familien nicht geimpft sind? Oft wollen die Anrufer niemanden verletzen, fragen sich aber, wie Weihnachten unter ihren speziellen Voraussetzungen gelingen kann.

???: Welche Wünsche haben Sie ans Neue Jahr?
Martin: Ich wünsche mir, dass wir uns wieder als Gruppe in Präsenz treffen können. Derzeit laufen Ausbildung und Supervision online. Auch wenn ich sagen muss, dass niemand medial so gut auf die Pandemie vorbereitet war, wie wir von der Telefonseelsorge, wäre es doch wunderbar, sich wieder begegnen zu dürfen.

Weitere Informationen

Die Telefonseelsorge ist ein ökumenisches Angebot der Evangelischen Kirche der Pfalz und des Bistums Speyer. Seit Oktober 1979 nehmen in Kaiserslautern professionell geschulte Ehrenamtliche – aktuell rund 85 – den Hörer ab und sind „ganz Ohr“. Im Chat beraten 15 Personen. 2020 führten die Ehrenamtlichen rund 10.000 Seelsorge- und Beratungsgespräche am Telefon und im Chat. Die Telefonseelsorge Pfalz ist unter den Telefonnummern 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222, über die App KrisenKompass sowie per Internet-Chat auf www.telefonseelsorge.de rund um die Uhr erreichbar.

Autor:

Cornelia Bauer aus Speyer

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