Ein Denkmal für die Ewigkeit
Madama Butterfly im Festspielhaus Baden-Baden
- Foto: Monika Rittershaus
- hochgeladen von Marko Cirkovic
Ich kann gar nicht anders, als bereits im ersten Atemzug zu gestehen, wie unbeschreiblich tief mich diese Aufführung von Madama Butterfly bei den Osterfestspielen 2025 im Festspielhaus Baden-Baden ergriffen hat. In einem seltenen Zusammenspiel von musikalischer Vollendung und szenischer Magie erblühte Puccinis Werk zu einer Intensität, die mir den Atem raubte und das Herz weit aufstieß. Diese Kritik mag ungewöhnlich lang ausfallen, doch möchte ich jene, denen die Zeit dazu fehlt, in aller Kürze wissen lassen: Ich habe kaum jemals zuvor derart erhabene und rührende Momente in einer Oper erlebt, sodass ich mir kaum vorstellen kann, dass Madama Butterfly jemals in vollendeterer Form auf die Bühne gelangen könnte.
Gewiss gibt es bereits etliche andere Kritiken, manche kurz, manche umfangreicher. Und was Eleonora Buratto in der Rolle der Cio-Cio-San geleistet hat, kommt einem Monument gleich, das in den Annalen der Operngeschichte unerschütterlich weiterleben wird. Ihre Interpretation ist nicht bloß eine meisterhafte Darbietung, sondern der Inbegriff einer verschmelzenden Verbindung aus Gefühlstiefe und vokaler Brillanz, die sich wie ein unauslöschlicher Nachhall in mein Innerstes eingebrannt hat. sie setzte sich ein Denkmal für die Ewigkeit.
Lesedauer: ca. 12 Minuten
Die Inszenierung
In dem behutsam ausgeleuchteten Bühnenraum, dessen wogende Schatten sich mit leisen Projektionen vermischen, entfaltet sich die Regiehandschrift dieser Madama Butterfly wie ein Geflecht aus Bildern und Symbolen. Hier steht nichts zufällig, jeder Gegenstand und jede Projektion folgt einem fein austarierten Konzept, das die Regie unter Davide Livermore mit unverkennbarer Raffinesse betreibt. Livermore, erschafft eine poetische Welt, in der das Tragische und das Zarte, das Bildhafte und das menschliche aufeinandertreffen.
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Zu Beginn, in Nagasaki betritt Cio-Cio-Sans inzwischen erwachsener Sohn Dolore die Bühne, um seinen familiären Wurzeln nachzuspüren. In einer eigens hinzugedichteten Szene trifft er auf die gealterte Suzuki, einst die treue Dienerin seiner Mutter. Durch Fotografien und Erinnerungsstücke enthüllt sich ihm Cio-Cio-Sans tragische Geschichte in einer ausführlichen Rückblende.
Von da an erlebt das Publikum die eigentliche Oper als in Erinnerungen lebendig werdenden Bericht – die Handlung wird zur erzählten Vergangenheit. Dieser Kunstgriff des Regisseurs ist zwar nicht vollkommen neu, aber er erweist sich als dramaturgisch überzeugend und eröffnet einen frischen Blick auf das bekannte Werk: Indem er die Ereignisse in den Rahmen einer nachgeborenen Generation und deren Auseinandersetzung mit der Vergangenheit rückt, verleiht Livermore der Tragödie um Butterfly eine zusätzliche reflexive Dimension.
Unvermittelt wird klar, dass für Cio-Cio-San jede Geste existenzielle Bedeutung hat, während Pinkerton nur im Taumel des Augenblicks schwelgt – eine Gegenüberstellung, die durch den zeitlichen Abstand und die Suche des Sohnes umso eindringlicher hervorgehoben wird.
Seine Inszenierung kreist um den Schmelzpunkt zwischen Illusion und Wirklichkeit: Die Videoprojektionen (D-Wok) öffnen immer wieder imaginäre Räume, die den Betrachter auf einen Pfad ins Innere der Oper führen. Dort, wo herkömmliche Inszenierungen mit romantischen Japan-Klischees aufwarten, bezieht Livermore konsequent eine reflektierende Haltung: Die schwebenden Kirschblüten sind hier nicht nur pittoreskes Dekor, sondern vielmehr Sinnbild für die Flüchtigkeit des Glücks, das wie ein Wispern in der Luft verhallt. Gemeinsam mit dem Bühnebildner-Team Giò Forma umkreist er das Thema Heimat und Fremde, indem er stilisierte Holzwände sowie bewegliche, transluzente Paneele zu einem Theaterraum arrangiert, der sich unablässig verschiebt und in seiner Wandelbarkeit die innere Zerrissenheit der Handlung spiegelt. Mal öffnet sich der Raum zu fast filmischen Panoramen, mal schnürt er sich eng zusammen, fast wie ein klaustrophobischer Kokon – ein geschickter Balanceakt zwischen Schauwert und symbolischer Dichte.
Im Zentrum aller Entscheidungen steht indes Livermores Regiekonzept, das sich als philosophische Reflexion über den ewigen Zwiespalt zwischen Innen- und Außenwelt lesen lässt. Indem er die Handlung eingerahmt von modernen Versatzstücken präsentiert – neonleuchtende Silhouetten einer Stadt, fotografische Projektionen verschwindender Landschaften – verweist er auf die Relativität allen Geschehens: Nicht nur eine fremde Kultur, sondern auch das Fremdsein in sich selbst rückt in den Fokus. Er entfaltet in klar gesetzten Szenenphasen, wie Identität zum Spielball äußerer Mächte wird, und lässt so das Publikum Zeuge einer langsamen Erosion des Vertrauten werden.
Gleißendes Licht, das harte Schatten zeichnet, weicht in den Schlüsselmomenten einem warmen Dämmer, der beinahe an eine Traumsequenz gemahnt. Diese Lichtakzente führen nicht nur die Blicke der Zuschauer, sondern vertiefen zugleich die metaphysische Dimension der Inszenierung: Im Halbdunkel flammen zarte Silhouetten auf, die sich zu kaum fassbaren Schemen wandeln – wie um zu zeigen, dass Erinnerung und Wirklichkeit unlösbar ineinander verschlungen sind.
Die Choreografie der Bühnenbewegungen – ein subtiler, jedoch wesentlicher Aspekt jedes Opernabends – zeugt von Livermores feinem Gespür für Timing und Rhythmus. Auch wenn hier keine expliziten Tanzszenen integriert sind, so folgt das Agieren der Darsteller und Statisten fast einem choreografischen Atem: Sie gleiten auf die Bühne, verharren inhaltsschwer, lösen sich in einer tastenden Geste oder treten wie schicksalshaft zurück. Dass diese Übergänge so selbstverständlich wirken, ist dem Zusammenspiel des Regieteams zu verdanken, das sowohl große Tableaus beherrscht als auch intime Momente in Ehrfurcht vor der Tragik gestaltet.
Gerade darin liegt die menschlichen Tiefe dieser Regiearbeit: Sie fragt nach den Grenzbereichen zwischen Kultur und Mythos, zwischen Hoffen und Verlorensein, ohne vorschnelle Antworten zu geben. Sie lebt von einer menschlichen Wärme, die die Kälte ritueller Zwänge ebenso zeigt wie die Sehnsucht nach einem Ort, an dem man ankommen kann. In der Verschränkung von Raum, Licht, Projektion und Kostüm findet jene hochsensible Erzählung ihren Resonanzboden, der das Publikum in seinen eigenen Reflexionen gefangen nimmt.
Die Wucht dieser Umsetzung speist sich nicht aus effekthascherischem Pomp, sondern aus der konsequenten Verknüpfung aller künstlerischen Elemente. Man spürt, wie sehr das Leitungsteam eine gemeinsame Vision teilt: Livermore als kluger Impulsgeber, Giò Forma mit seiner wandelbaren Bühnenwelt, Fracasso mit der stummen Psychologie der Kostüme, D-Wok mit der bildmächtigen, aber stets organisch eingefügten Videokonzeption. Jedes dieser Elemente greift ineinander wie die Zahnräder einer empfindlichen Uhr, die uns jene Wahrhaftigkeit zeigt, zu der bloße Realistik alleine nie fähig wäre.
Diese Baden-Badener Madama Butterfly erhebt somit den Anspruch, nicht nur eine Geschichte zu erzählen, sondern eine Seelenskizze zu zeichnen. Indem die Regie das Drama zu einer Reflexion über menschliche Zerbrechlichkeit und kulturelle Projektion weitet, gewinnt die Inszenierung philosophische Strahlkraft: Wir beginnen zu erahnen, dass jeder Abschied, jede Hoffnung, jedes unausgesprochene Verlangen in einem größeren Zusammenspiel aus Raum, Zeit und Erinnerung verwoben ist. Und genau hier berührt uns die Meisterschaft des Regieteams – sie liefert keine austauschbare, konventionelle Bebilderung, sondern eine in sich kreisende Betrachtung des menschlichen Schicksals.
Zur Musik
Ein besonderes Leuchten erfüllte das Festspielhaus Baden-Baden, als Giacomo Puccinis tragische Oper Madama Butterfly bei den Osterfestspielen 2025 zu einer musikalisch-philosophischen Erfahrung von seltener Intensität geriet. Vom ersten sanften Streicherflirren bis zum letzten verklingenden Akkord war das Publikum gebannt in einem Spannungsfeld aus Klang und Stille, aus ekstatischer Schönheit und tiefster Verzweiflung. Unter der Leitung von Kirill Petrenko und in den Händen der Berliner Philharmoniker entfaltete sich die altvertraute Geschichte der jungen Geisha Cio-Cio-San als weit mehr als nur ein Opernabend – als ein seelisches Beben, das große emotionale, kulturelle und existenzielle Fragen aufwarf. Jede musikalische Phrase schien Bedeutung zu tragen; jeder Klang malte ein Stück der tragischen Seele dieser Oper aus. Es war, als würde die Musik selbst von Liebe und Illusion, von Ehre und Opfer erzählen – mit einer Wahrhaftigkeit, die Herz und Geist gleichermaßen erschütterte.
Im Zentrum dieser außergewöhnlichen Aufführung stand Kirill Petrenko, der am Pult eine Meisterleistung vollbrachte. Mit unerreichter Präzision und fast übernatürlicher Kontrolle formte er Puccinis Partitur, wechselte mühelos zwischen explosiver Dramatik und flüsternder Zurückhaltung. In einem Moment ließ er das Orchester mit voller Kraft aufrauschen – ein gleißender Ausbruch von Schmerz oder Leidenschaft – um im nächsten Moment in mikroskopisch feine Nuancierungen zurückzufinden, als würde er mit dem Taktstock zarte Pinselstriche in die Luft zeichnen. Unter seiner Leitung erklangen selbst die dichtesten Tutti-Stellen transparent und detailreich; jede Nebenstimme im Orchester hatte Bedeutung, jeder Akzent saß. Petrenko begriff diese Oper hörbar als symphonisches Gefüge, als filigranes Kunstwerk, das er mit der Sorgfalt eines Kalligraphen ausführte: präzise gezeichnet, doch voller Leben und Spannung. Dabei vermied er jegliche Sentimentalität – keinen Augenblick drohte Puccinis emotional aufgeladene Musik ins Kitschige abzudriften. Stattdessen herrschte eine edle, kontrollierte Intensität, die das Tragische umso durchdringender machte. Eindrücklich war etwa der Moment im dritten Akt, als Cio-Cio-San erfährt, dass man ihr ihr Kind nehmen will: Petrenko dehnte die Generalpause nach dieser Schreckensnachricht zu einer kleinen Ewigkeit, in der das Pianissimo der Berliner Philharmoniker vor Spannung knisterte – eine Stille am Rande des Zerreißens, die schließlich in einen aufschreienden Orchesterakkord mündete und den Zuhörern den Atem stocken ließ . Solche Augenblicke zeugten von Petrenkos außergewöhnlichem dramaturgischem Gespür. Das Orchester – in diesem Rahmen erstmals überhaupt mit Madama Butterfly betraut – folgte ihm mit Hingabe und technischer Brillanz. Die Berliner Philharmoniker präsentierten sich in Höchstform: Ihr Spiel war plastisch und sinnlich, reich an Farben und Schattierungen, von den samtigen Streicherteppichen bis zu den grellen, scharf konturierten Ausbrüchen der Blechbläser . Als der dämonisch grollende Onkel Bonzo in Akt I erschien, ließ Petrenko etwa die gestopften Hörner markerschütternd auffahren – ein kurzer Schauer aus Blech, der den Fluch des Onkels musikalisch manifestierte. Umgekehrt geriet der berühmte Summchor am Ende des zweiten Aktes zu einer schwebenden Meditation: Chor und Orchester verschmolzen im Flüsterton, als senke sich über das nächtliche Nagasaki ein Schleier aus Klang. Hier nahm Petrenko das Tempo zurück und ließ Raum für einen magischen Augenblick der Ruhe, in dem die Musik beinahe zu atmen schien – Augen zu und Ohren auf, möchte man sagen, um diese Feinheiten ganz in sich aufzunehmen . So wurde die Partitur unter Petrenkos Händen zu einer Landkarte der Gefühle – jeder Takt eine neue Facette – und zugleich zu einer philosophischen Reflexion über die Zerbrechlichkeit der Hoffnung.
In diesem reich schattierten orchestralen Umfeld konnten sich die Sängerinnen und Sänger ideal entfalten. Allen voran Eleonora Buratto in der Titelpartie der Cio-Cio-San setzte Maßstäbe. Mit makelloser Stimmführung und überirdischer Klarheit in der Stimme verkörperte sie die junge Geisha so vollkommen, dass man bald nicht mehr die italienische Sopranistin auf der Bühne sah, sondern nur noch Butterfly – jenes unschuldige Mädchen, das in Liebe entbrannt alles opfert. Burattos Sopran besitzt eine betörende Wärme und zugleich die Reinheit eines Glockentons; ihr Gesang strömte frei und ungezwungen, jede Phrase atmete natürlich. Dabei verfügt sie über eine immense dynamische Bandbreite – vom hauchzarten Piano, das in den Saal hineingehaucht war wie ein leiser Seufzer, bis zum glänzenden Forte, mit dem sie leidenschaftliche Höhepunkte krönte . Jede Szene erhielt durch sie genau die richtige Farbnuance: Wenn Cio-Cio-San von ihrer Liebe träumt, leuchtete Burattos Timbre hoffnungsvoll, fast mädchenhaft zart; in Momenten der Demütigung oder Angst jedoch schimmerte ein dunklerer Ton auf, ein Zittern von Schmerz. Burattos Kunst lag gerade in dieser fabelhaften Geradlinigkeit des Melodischen – sie sang Puccinis Linien mit einer schlichten Ehrlichkeit, verzierte nichts unnötig, und traf doch mitten ins Herz . Besonders unvergesslich geriet ihre große Arie „Un bel dì, vedremo“ im zweiten Akt, der emotionale Gipfel des Abends. Mit berührender Innigkeit beschwor Buratto in dieser Arie eine zukünftige Wiedervereinigung mit ihrem Geliebten herauf – sie malte mit strahlendem, hoffnungsgetränktem Sopran eine Illusion von Glück, so zart und schön, dass man für einen Moment selbst daran glauben wollte . Es lag eine zerbrechliche Schönheit in ihrem Vortrag, als hielte sie ein kostbares Porzellan vor uns, das jeden Augenblick zerspringen könnte. Das Publikum lauschte atemlos und brach am Ende der Arie in frenetischen Szenenapplaus aus. Im Finalakt schließlich, als Butterfly erkennen muss, dass alle Hoffnung vergebens war, brachte Buratto Verzweiflung und erhabenen Stolz zugleich in ihre Stimme. In den Abschiedsszenen – dem leisen Wiegenlied für ihr Kind und dem gebrochenen Flüstern „Con onor muore“ kurz vor dem Suizid – sang sie mit einer ergreifenden Intensität, die einem das Herz zusammenbrechen ließ. Eleonora Buratto errichtete an diesem Abend ein gesangliches Denkmal für die Figur der Butterfly: Ihre gestalterische Hingabe und vokale Perfektion machten diese Cio-Cio-San zu einer derjenigen, die im Gedächtnis bleiben, als Sinnbild unvergänglicher Opernkunst.
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An Burattos Seite glänzte Jonathan Tetelman als Lieutenant B. F. Pinkerton mit einem Tenor, der gleichermaßen kraftvoll wie lyrisch war. Tetelman schöpfte hörbar aus dem Vollen – seine Stimme besitzt eine schwelgerische Fülle und Strahlkraft, die den Saal mühelos erfüllte, und dennoch gelang es ihm, gerade in den lyrischen Passagen eine schmelzende Weichheit anklingen zu lassen. In Pinkertons Trinklied zu Beginn prahlte sein Tenor mit forschem, hellem Glanz – genau die verführerische Süße in der Stimme, die Pinkertons oberflächlichen Charme glaubhaft machte. Man konnte verstehen, warum Cio-Cio-San diesem Klang verfiel: Tetelmans Timbre trug jene „Karamellsüße“, die den Helden dieser Oper zugleich attraktiv und trügerisch erscheinen lässt . Doch so sehr Pinkerton als Figur moralisch fragwürdig ist, so sehr bemühte sich Tetelman, ihm musikalisch Kontur und zumindest gegen Ende menschliche Reue zu verleihen. Er sang die hohen Töne mit schier unerschöpflicher Energie – selbst in den dramatischen Ausbrüchen klang nichts gepresst, sondern natürlich fließend. Im Liebesduett des ersten Aktes („Viene la sera“) umschmeichelte sein Tenor Butterflys Sopran mit sanftem Schmelz, was der Szene eine wunderschöne Romantik verlieh, ohne je kitschig zu wirken. Und dann, im dritten Akt, als Pinkerton nach Nagasaki zurückkehrt und das Ausmaß seines Verrats erkennt, legte Tetelman noch einmal deutlich zu: hier drang eine echte emotionale Durchdringung aus seinem Gesang. In der kurzen Arie „Addio, fiorito asil“, mit der Pinkerton Abschied von dem gemeinsamen Haus nimmt, formte Tetelman jede Silbe mit schmerzlicher Reue – sein bislang so kräftiger Tenor bekam nun eine wehmütige Tönung, die tief anrührte. Dieser Wandel vom sorglosen Verführer zum gebrochenen Schuldigen gelang ihm stimmlich beeindruckend. Besonders der Moment, als Pinkerton am Ende verzweifelt den Namen „Butterfly!“ ruft, ging durch Mark und Bein – Tetelmans Ruf war ein Aufschrei voller Selbstvorwürfe und Entsetzen, der noch lange nachhallte. So machte dieser Tenor selbst aus der unsympathischen Rolle des Pinkerton eine packende Studie über Verblendung und späte Einsicht.
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Auch die vermeintlichen Nebenfiguren wurden an diesem Abend zu tragenden Säulen des musikalischen Dramas. Tassis Christoyannis verlieh dem Konsul Sharpless eine ungewöhnliche Intensität und emotionale Tiefe. Mit seinem warm strömenden Bariton und schillerndem Timbre zeichnete er Sharpless nicht als blassen Stichwortgeber, sondern als mitfühlenden Freund und Mahner, gleichsam die Stimme des Gewissens auf der Bühne. Schon in der frühen Szene, als Sharpless Pinkerton zur Vernunft mahnt und den latenten Wahnsinn von dessen Heiratsplänen spürt, klang Christoyannis’ Gesang wohltuend rund und väterlich – man hörte einen gutmütigen, einfühlsamen Familienvater aus seiner Stimme heraus . Diese Aura des moralischen Anstands hielt er den ganzen Abend über aufrecht. In der berüchtigten Brief-Szene des zweiten Aktes – als Sharpless den Brief Pinkertons vorliest – sang Christoyannis mit rührender Anteilnahme; man spürte förmlich, wie Sharpless innerlich zwischen Pflicht und Mitleid zerrissen ist. Die prägnante Bühnenpräsenz des griechischen Baritons, gepaart mit wohlklingender, kantabler Linienführung , machte Sharpless’ Hilflosigkeit angesichts der nahenden Katastrophe herzzerreißend deutlich. Sein Zusammenspiel mit Buratto in dieser Szene war meisterhaft: behutsam phrasiert er seine Warnungen, während in seinem Klang Mitgefühl und wachsende Verzweiflung mitschwingen. So wurde Sharpless, oft eine undankbare Partie, hier zu einem wichtigen emotionalen Anker der Aufführung.
Nicht minder eindrucksvoll war Teresa Iervolino als Butterflys treue Dienerin Suzuki. Ihre warme Mezzosopranstimme brachte eine erdige Grundierung in das Klangbild ein und zeichnete das Bild einer Frau, die mitfühlt, aber auch pragmatisch handelt. Iervolino gestaltete die Suzuki mit klarer Phrasierung und nobler Schlichtheit – nie drängte sie sich in den Vordergrund, doch ihre Präsenz war unübersehbar. Bemerkenswert ist, dass Teresa Iervolino trotz einer leichten gesundheitlichen Beeinträchtigung an diesem Abend gesanglich voll überzeugte: Man hätte kaum geahnt, dass sie nicht ganz auf der Höhe war, denn ihre Stimme blieb voll und rund, ihr Vortrag konzentriert und sicher. In den Duetten mit Cio-Cio-San – etwa dem zarten Blüten-Blüten-Duett, wenn beide das Haus mit Blüten schmücken – harmonierte sie innig mit Buratto, ihre Stimmen verschmolzen zu klanglicher Geschwisterlichkeit, Sopran und Mezzosopran im tröstlichen Zwiegesang. Iervolinos tiefe Töne waren satt und tragfähig, ihre Höhe warm und nie schrill, so dass Suzuki in all ihrer Loyalität und Sorge lebendig wurde. Man denke an die Szene, als Suzuki im dritten Akt erkennt, dass Pinkerton tatsächlich zurückgekehrt ist: Ihr entsetzter Ausruf und die darauf folgende bittere Erkenntnis, dass dieses Wiedersehen nichts Gutes bedeutet, vermittelte Iervolino mit herzergreifender Aufrichtigkeit. Trotz kurzer krankheitsbedingter Schwächung sang sie Suzuki mit großer Emphase und unerschütterlicher Hingabe – eine starke Stütze für die Hauptpartie und zugleich eine eigenständige, berührende Darstellung der liebenden Gefährtin.
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Zu diesem vokalen Sternensemble kamen die weiteren Rollen, die sämtlich tadellos besetzt waren. Gerade in einer Oper wie Madama Butterfly können kleine Partien große Wirkung haben, und so fügten sich auch die übrigen Sängerinnen und Sänger makellos in das Gesamtgefüge ein. Lilia Istratii gab in der kleinen Rolle der Kate Pinkerton ein sanftes, verständnisvolles Portrait der amerikanischen Ehefrau, deren kurze Erscheinung im Finale umso wichtiger ist – mit hellem Timbre und würdevoller Zurückhaltung verkörperte sie gewissermaßen das Kontrastbild zu Cio-Cio-San. Didier Pieri als Heiratsvermittler Goro traf genau den richtigen Ton eines geschmeidigen, etwas schmierigen Opportunisten: Sein Tenor klang brillant und charaktervoll, wenn er die arrangierte Ehe einfädelt und später feige Reißaus nimmt – eine gelungene darstellerische und stimmliche Charakterisierung dieser unsympathischen Figur. Aksel Daveyan verlieh dem wohlhabenden Fürsten Yamadori mit sonorem Bariton einen Hauch von Würde und Wehmut; in seinem kurzen Auftritt spürte man die vergebliche Hoffnung dieses abgewiesenen Verehrers, der trotz aller höfischen Eleganz gegen Butterflys Liebe chancenlos bleibt. Giorgi Chelidze wiederum ließ als Onkel Bonzo seine Bassstimme furchterregend aufdonnern – kurz, aber eindrucksvoll erfüllte sein Fluch das Haus mit finsterer Wucht. Und selbst die kleinste Rolle, der Kaiserliche Kommissar in Person von Jasurbek Khaydarov, trug zum Gesamtbild bei: Mit autoritativem Tonfall verlas er die Heiratsformeln, ganz der pflichtbewusste Beamte, und rundete so das exzellente Ensemble ab. Es war ein Abend, an dem wirklich kein Schwachpunkt auszumachen war – vom gefeierten Star bis zum Choristen zogen alle an einem Strang. Erwähnenswert ist auch der Beitrag des Tschechischen Philharmonischen Chors Brünn, der insbesondere als offstage-Chor im Summchor und als Hochzeitsgesellschaft auf der Bühne für klangliche Fülle und atmosphärische Dichte sorgte.
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Die Inszenierung
In dem behutsam ausgeleuchteten Bühnenraum, dessen wogende Schatten sich mit leisen Projektionen vermischen, entfaltet sich die Regiehandschrift dieser Madama Butterfly wie ein Geflecht aus Bildern und Symbolen. Hier steht nichts zufällig, jeder Gegenstand und jede Projektion folgt einem fein austarierten Konzept, das die Regie unter Davide Livermore mit unverkennbarer Raffinesse betreibt. Livermore, erschafft eine poetische Welt, in der das Tragische und das Zarte, das Bildhafte und das menschliche aufeinandertreffen.
Zu Beginn, im Nagasaki des Jahres 1978, betritt Cio-Cio-Sans inzwischen erwachsener Sohn Dolore die Bühne, um seinen familiären Wurzeln nachzuspüren. In einer eigens hinzugedichteten, wortlosen Szene trifft er auf die gealterte Suzuki, einst die treue Dienerin seiner Mutter. Durch Fotografien und Erinnerungsstücke enthüllt sich ihm Cio-Cio-Sans tragische Geschichte in einer ausführlichen Rückblende.
Von da an erlebt das Publikum die eigentliche Oper als in Erinnerungen lebendig werdenden Bericht – die Handlung wird zur erzählten Vergangenheit. Dieser Kunstgriff des Regisseurs ist zwar nicht vollkommen neu, aber er erweist sich als dramaturgisch überzeugend und eröffnet einen frischen Blick auf das bekannte Werk: Indem er die Ereignisse in den Rahmen einer nachgeborenen Generation und deren Auseinandersetzung mit der Vergangenheit rückt, verleiht Livermore der Tragödie um Butterfly eine zusätzliche reflexive Dimension.
Unvermittelt wird klar, dass für Cio-Cio-San jede Geste existenzielle Bedeutung hat, während Pinkerton nur im Taumel des Augenblicks schwelgt – eine Gegenüberstellung, die durch den zeitlichen Abstand und die Suche des Sohnes umso eindringlicher hervorgehoben wird.
Seine Inszenierung kreist um den Schmelzpunkt zwischen Illusion und Wirklichkeit: Die Videoprojektionen (D-Wok) öffnen immer wieder imaginäre Räume, die den Betrachter auf einen Pfad ins Innere der Oper führen. Dort, wo herkömmliche Inszenierungen mit romantischen Japan-Klischees aufwarten, bezieht Livermore konsequent eine reflektierende Haltung: Die schwebenden Kirschblüten sind hier nicht nur pittoreskes Dekor, sondern vielmehr Sinnbild für die Flüchtigkeit des Glücks, das wie ein Wispern in der Luft verhallt. Gemeinsam mit dem Bühnebildner-Team Giò Forma umkreist er das Thema Heimat und Fremde, indem er stilisierte Holzwände sowie bewegliche, transluzente Paneele zu einem Theaterraum arrangiert, der sich unablässig verschiebt und in seiner Wandelbarkeit die innere Zerrissenheit der Handlung spiegelt. Mal öffnet sich der Raum zu fast filmischen Panoramen, mal schnürt er sich eng zusammen, fast wie ein klaustrophobischer Kokon – ein geschickter Balanceakt zwischen Schauwert und symbolischer Dichte.
Im Zentrum aller Entscheidungen steht indes Livermores Regiekonzept, das sich als philosophische Reflexion über den ewigen Zwiespalt zwischen Innen- und Außenwelt lesen lässt. Indem er die Handlung eingerahmt von modernen Versatzstücken präsentiert – neonleuchtende Silhouetten einer Stadt, fotografische Projektionen verschwindender Landschaften – verweist er auf die Relativität allen Geschehens: Nicht nur eine fremde Kultur, sondern auch das Fremdsein in sich selbst rückt in den Fokus. Er entfaltet in klar gesetzten Szenenphasen, wie Identität zum Spielball äußerer Mächte wird, und lässt so das Publikum Zeuge einer langsamen Erosion des Vertrauten werden.
Gleißendes Licht, das harte Schatten zeichnet, weicht in den Schlüsselmomenten einem warmen Dämmer, der beinahe an eine Traumsequenz gemahnt. Diese Lichtakzente führen nicht nur die Blicke der Zuschauer, sondern vertiefen zugleich die metaphysische Dimension der Inszenierung: Im Halbdunkel flammen zarte Silhouetten auf, die sich zu kaum fassbaren Schemen wandeln – wie um zu zeigen, dass Erinnerung und Wirklichkeit unlösbar ineinander verschlungen sind.
Die Choreografie der Bühnenbewegungen – ein subtiler, jedoch wesentlicher Aspekt jedes Opernabends – zeugt von Livermores feinem Gespür für Timing und Rhythmus. Auch wenn hier keine expliziten Tanzszenen integriert sind, so folgt das Agieren der Darsteller und Statisten fast einem choreografischen Atem: Sie gleiten auf die Bühne, verharren inhaltsschwer, lösen sich in einer tastenden Geste oder treten wie schicksalshaft zurück. Dass diese Übergänge so selbstverständlich wirken, ist dem Zusammenspiel des Regieteams zu verdanken, das sowohl große Tableaus beherrscht als auch intime Momente in Ehrfurcht vor der Tragik gestaltet.
Gerade darin liegt die menschlichen Tiefe dieser Regiearbeit: Sie fragt nach den Grenzbereichen zwischen Kultur und Mythos, zwischen Hoffen und Verlorensein, ohne vorschnelle Antworten zu geben. Sie lebt von einer menschlichen Wärme, die die Kälte ritueller Zwänge ebenso zeigt wie die Sehnsucht nach einem Ort, an dem man ankommen kann. In der Verschränkung von Raum, Licht, Projektion und Kostüm findet jene hochsensible Erzählung ihren Resonanzboden, der das Publikum in seinen eigenen Reflexionen gefangen nimmt.
Die Wucht dieser Umsetzung speist sich nicht aus effekthascherischem Pomp, sondern aus der konsequenten Verknüpfung aller künstlerischen Elemente. Man spürt, wie sehr das Leitungsteam eine gemeinsame Vision teilt: Livermore als kluger Impulsgeber, Giò Forma mit seiner wandelbaren Bühnenwelt, Fracasso mit der stummen Psychologie der Kostüme, D-Wok mit der bildmächtigen, aber stets organisch eingefügten Videokonzeption. Jedes dieser Elemente greift ineinander wie die Zahnräder einer empfindlichen Uhr, die uns jene Wahrhaftigkeit zeigt, zu der bloße Realistik alleine nie fähig wäre.
Diese Baden-Badener Madama Butterfly erhebt somit den Anspruch, nicht nur eine Geschichte zu erzählen, sondern eine Seelenskizze zu zeichnen. Indem die Regie das Drama zu einer Reflexion über menschliche Zerbrechlichkeit und kulturelle Projektion weitet, gewinnt die Inszenierung philosophische Strahlkraft: Wir beginnen zu erahnen, dass jeder Abschied, jede Hoffnung, jedes unausgesprochene Verlangen in einem größeren Zusammenspiel aus Raum, Zeit und Erinnerung verwoben ist. Und genau hier berührt uns die Meisterschaft des Regieteams – sie liefert keine austauschbare, konventionelle Bebilderung, sondern eine in sich kreisende Betrachtung des menschlichen Schicksals.
So wurde Puccinis Madama Butterfly in Baden-Baden zu weit mehr als einer makellos musizierten Opernvorstellung: Sie geriet zur tiefgreifenden Meditation über Liebe, Verlust und die grausame Schönheit der Vergänglichkeit. Während auf der Bühne Cio-Cio-San zwischen den Kulturen und Idealen zerrieben wurde – hier die zärtliche japanische Traditionsverbundenheit, dort die forsche amerikanische Siegessicherheit –, spiegelte die Musik diesen Konflikt auf subtile Weise wider. Petrenko und die Philharmoniker ließen westliche und östliche Klangwelten dialogisieren: Da war das zackige Marinemotiv Pinkertons, das in den Hörnern patriotisch aufblitzte, beinahe wie ein militärischer Marsch, und dort das sanft fließende pentatonische Thema, das Butterflys inneres Bild von Heimat und Sehnsucht beschwor. In solchen kontrastierenden Leitmotiven offenbarte die Partitur die kulturelle Dimension der Tragödie: Das Aufeinanderprallen zweier Welten, zweier unvereinbarer Vorstellungen von Ehre und Glück. Doch am Ende, so schien diese Aufführung zu sagen, ist das Leid universell. Als Eleonora Buratto in den Schlussminuten mit kontrolliert gebrochener Stimme Abschied vom Leben nahm und Kirill Petrenko das Orchester zu einem letzten, gewaltigen Klageakkord anhob, verschmolzen alle Ebenen – persönliches Schicksal und weltübergreifende Bedeutung – zu einem einzigen, ergreifenden Moment. In der Luft lagen Trauer und Erfüllung gleichermaßen. Manch einer im Saal mag in diesem Augenblick eine Träne fortgewischt haben, ergriffen von der Wucht dessen, was Kunst auszudrücken vermag. Nicht zuletzt schwang in dieser finalen Katharsis auch ein Hauch Realität mit: Die Berliner Philharmoniker verabschiedeten sich mit dieser Madama Butterfly nach über einem Jahrzehnt von Baden-Baden, um künftig ihre Osterfestspiele wieder in Salzburg zu begehen . So fielen an diesem Abend gewissermaßen zwei Vorhänge: auf der Bühne der abschiedliche Schleier über Cio-Cio-Sans Leichnam – im selben Moment aber auch der Abschied des Weltklasse-Orchesters von der Kurstadt. Diese symbolische Parallele verlieh der Aufführung einen zusätzlich bewegenden Unterton. Wie die letzten Töne verklangen, konnte man fast das Gefühl haben, im Geiste noch einmal einen Regen von Kirschblüten über der Szene niedergehen zu sehen – jenes Symbol der Schönheit und Vergänglichkeit, das in Madama Butterfly für einen Herzschlag lang aufblühte, nur um sogleich zu vergehen . Dann umfing die Stille den Raum. Einen sehr kurzen Atemzug lang schien die Zeit stillzustehen, ehe tosender Applaus losbrach. Madama Butterfly in Baden-Baden 2025 hinterließ das Publikum zutiefst bewegt und nachdenklich, als hätte man gemeinsam einen Blick in den Abgrund der Seele und zugleich auf den aller höchsten Gipfel der musikalischen Kunst geworfen. Es war ein Abend, der zeigte, wie Oper im Idealfall sein kann: ein Gesamtkunstwerk aus Klang und Bedeutung, ein zutiefst menschliches Drama, das im Zuhörer lange nachhallt – ästhetisch anspruchsvoll, emotional überwältigend und geistig bereichernd zugleich.
Autor:Marko Cirkovic aus Durlach |
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