26. Mannheimer Vesperkirche
„Armut erreicht Mitte der Gesellschaft“

Die Vesperkirche habe in diesem Jahr mehr Menschen versorgt als sonst, sagte Dekan Ralph Hartmann bei der Abschluss-Pressekonferenz. | Foto: Alexander Kästel.
  • Die Vesperkirche habe in diesem Jahr mehr Menschen versorgt als sonst, sagte Dekan Ralph Hartmann bei der Abschluss-Pressekonferenz.
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Mannheim. Über 18.000 Essen – die Höchstzahl in der Geschichte der Vesperkirche. Das sei nicht überraschend und mehr als zu erwarten gewesen. Die Vesperkirche habe in diesem Jahr mehr Menschen versorgt als sonst, sagt Dekan Ralph Hartmann im Rahmen der Abschluss-Pressekonferenz. „Was in Zusammenhang mit den vorangegangenen Krisen steht – die mit der Ukraine-Krise einhergehende Energiepreiskrise und Inflation – sei aber für viele Menschen aus der Mitte der Gesellschaft katastrophal“, wie Pfarrerin Ilka Sobottke betont. Umso mehr wolle man in der Zeit der Vesperkirche, die Menschen ermutigen, auf ihr Recht auf Unterstützung zurückzugreifen, Mittel zu beantragen, sei es Wohngeld oder Grundsicherung – dafür sei Vesperkirche da. „Mutwillig Wunder wagen“, so das Motto der diesjährigen Vesperkirche – am kommenden Sonntag geht sie nach vier Wochen im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes mit Dekan Ralph Hartmann zu Ende.

Vesperkirche als Seismograph

Armut steige stark an und Armut erreiche leider auch die Mitte der Gesellschaft, so Dekan Ralph Hartmann. Das könne man in der Vesperkirche, die wie ein „Seismograph“ sei, deutlich sehen. Die Geschichten von denen Pfarrerin Ilka Sobottke erzählt, bestätigen das. Neben den vielen alten Menschen, ukrainischen Frauen und Kindern, Obdachlosen und Menschen aus dem osteuropäischen Raum, sei ein gutes 1/3 der Gäste psychisch erkrankt, sagt sie. Ob Kindheits- und Jugendtraumata durch Vergewaltigungen in oder außerhalb der Familie, oder auch durch den Verlust eines Angehörigen und Krankheit. „Manchmal wissen wir nicht wie wir ihnen helfen können, nur das sie essen brauchen, medizinische Versorgung benötigen, aber vor allem Beachtung und Hilfe. Ihnen ein „Ohr“ schenken und sie als Mensch sehen und achten, sei wichtiger denn je. Katastrophal sei es teilweise, wenn Ilka Sobottke sieht, wie viel Verletzungen und unverheilte Wunden manche Menschen haben, sich nicht mehr zum Arzt trauen, weil es mittlerweile unangenehm riecht.

Wunder in der Vesperkirche gäbe es aber auch, wenn die Pfarrerin sieht, dass sie Menschen ermutigen kann. Eine Familie, Akademiker, zwei Kinder, sei in der Vesperkirche zu Besuch gewesen. Der Vater sei plötzlich arbeitslos geworden. Den Mut einen Antrag auf Mindestgrundsicherung zu stellen, habe er nicht. Das habe er noch nie gemacht. Zwei Wochen später sei er zurückgekommen und habe freudestrahlend erzählt, dass er nun doch Anträge gestellt habe. „Wir haben ihn ermutigt auf sein Recht zu pochen“, sagt Ilka Sobottke. Das sei befriedigend und freue sie für die Familie, die wieder „Licht am Horizont“ sehen darf.

Große Nachfrage nach  Sozialberatung 

Mit den steigenden Gästezahlen ist auch in diesem Jahr wieder die Sozialberatung des Diakonischen Werks vor Ort wieder in Anspruch genommen worden, berichtet Diakonie-Direktor Michael Graf. Viele Menschen seien verzweifelt, weil sie schon Monate auf eine Antwort auf ihren Antrag in Sachen Wohngeld oder andere Leistungen warten. „Unsere Sozialarbeiter hören ihnen zu, versuchen es noch einmal auf anderem Wege“, sagt Graf. Das sei manchmal wichtiger als jede Beratung. „Zuhören und ernst nehmen“, das fehle den Menschen am meisten. Und trotzdem sei es untragbar, dass Menschen Monate mit den knappen Ressourcen, die sie zur Verfügung haben, aushalten müssen. Das erzeuge Druck und viel Scham, nicht gerade Mut, den nächsten Schritt zu gehen.

Lob für Ehrenamtliche

Das Spendenaufkommen sei in diesem Jahr hoch – über 1000 Menschen haben für die Vesperkirche gespendet – über 180.000 Euro seien dabei zusammengekommen. „Das macht Mut“, sagt Dekan Ralph Hartmann. Schnell könne man oft auf „kurzem Wege“ über Unternehmen, hiesige Supermärkte, Drogeriemärkte oder auf dem Wochenmarkt Hilfe und Unterstützung bekommen, wenn es mal brennt, erzählt Ilka Sobottke. Die Mannheimer Stadtgesellschaft trage die Vesperkirche mit. Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer, ohne die vielen Spenden wäre sie nicht möglich. So halfen rund 55 Ehrenamtliche jeden Tag, Essen auszuteilen. jela

Autor:

Christian Gaier aus Mannheim

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