Aufleuchtende Stimmen, erlöschende Funken
Pique Dame an der Bayerischen Staatsoper München
- Foto: Geoffroy Schied
- hochgeladen von Marko Cirkovic
Schon der erste Bühnenmoment verriet, dass Benedict Andrews’ Münchner „Pique Dame“ das Paradox sucht – und es zugleich verfehlt. Zwischen weitem Kammerspiel und tableauhaft eingefrorener Totale taumelte der Abend wie Hermann selbst zwischen Wahn und Wirklichkeit. Dunkle, film noir-artige Lichtschneisen öffneten sich ins Schwarze, nur um sogleich von unbewegten Massenarrangements erstickt zu werden, kaum vorhandene Personenführung. Die omnipräsenten Projektionen zwischen den Szenen – mal vergrößerte Konterfeis der Figuren, mal lodernde Spielkarten, die mit grellem Gleichmut (rückwärts) brannten – sollten Bedeutung addieren, hinterließen jedoch den Eindruck dekorativer Willkür. So wurde das an sich schlüssige Konzept einer „Psychopathologie des Glücksspiels“ zur ästhetischen Nebenkostenabrechnung: teuer, aber inhaltlich kaum einlösbar.
Sebastian Weigle im Graben blieb merkwürdig komplementär dazu. Die Introduktion hielt noch, was Tschaikowskys Partitur verspricht: eine hart gespannte F-moll-Eruption, deren Schicksalsdreiklang – bei Tschaikowsky stets Grimm und Glanz zugleich – mit elektrisierender Schärfe aufflammte. Doch schon im ersten Bild geriet das Klangbild schlaff; die orchestrale Erzählspannung sackte in jenen Passagen ab, in denen der Komponist durch fein verspiegelte Harmonik und raffiniert geteilte Streicherflageoletts das Delirium des Protagonisten vorzubereiten sucht. Statt der unerbittlichen Treibkraft des Spiel-Motivs (die chromatisch abstürzende Klarinette, der pochende H-Dur-Akkord) hörte man gepflegte Sonntagsmusik. Weigles Dirigat verharrte in sauber verwalteter Klangschönheit und übersah die teuflische Glut, die Tschaikowsky unter jede Phrase legt. Erst im Duett zu Beginn des zweiten Bildes funkte plötzlich jener seelenzerreißende Zwischenton auf, der die Oper in den Rang eines russischen „Wozzeck“ hebt; danach allerdings verkümmerte selbst die Todes-Szene der Gräfin – dramaturgisch ein Kern des Werks – zur beiläufigen Pflichtübung.
Dass das Auditorium nach der Pause merklich gelichtet war, erstaunt kaum; wer blieb, tat es für das Ensemble – und wurde belohnt. Arsen Soghomonyan malt einen Hermann, dem das Timbre beinahe das Pathos steuert: nicht makellos, doch von schmerzhafter Direktheit und mit einem Textverständnis, das jedes Wort in nervösem Schwefel leuchten lässt. Im Finale presste er die letzten Kraftreserven aus seinem Tenor, setzte, während die Inszenierung längst auf Autopilot lief, das entscheidende Ass und verwandelte die Sterbeszene auf der Wolga-Brücke in klingende Selbstentzündung.
Elena Stikhina gibt eine Liza von betörender Erscheinung, deren Leuchtkraft freilich nur in Inseln aufschien. Man spürte, wie sehr sie für ihre große Szene in a-Moll („Akh! istomilas ya gorem…“) jenes orchestrale Atmen gebraucht hätte, das Weigle ihr verwehrte. Gleichwohl trug ihr silbriges, in der Höhe frei dahinströmendes Sopranfinale den Abend zu einem vokalen Gipfel.
Ein Ereignis für sich: Boris Pinkhasovich’ Fürst Jelezki – ein Leuchtturm der Eleganz. Seine Arie „Ja vas lyublyu“ geriet zu einer Lektion in nobler Linienführung, zumal er das stockende Schlagwerk im Graben schlicht überglänzte. Vladislav Sulimsky (Tomski) sang, als hätten ihn die Dämonen selbst zum Aktionär des Geheimnisses gemacht: stimmlich opulent, darstellerisch bis in den Sarkasmus pointiert. Violeta Urmana zeichnete die Gräfin nicht als spröde Ruine, sondern als Grandezza, deren pianissimo-Schimmer im „Je crains de lui parler la nuit…“ die Halle mit einer morbiden Aura überzog.
Der übrige, ausgesprochen luxuriös besetzte Cast – Kevin Conners (Tschekalinski), Bálint Szabó (Surin), Tansel Akzeybek (Tschaplicki), Roman Chabaranok (Narumow), Aleksey Kursanov (Festordner), Victoria Karkacheva (Polina), Freya Apffelstaedt (Gouvernante), Ekaterine Buachidze (Mascha) und die junge Maja Padberg als Kinderkommandant – agierte in bewundernswerter Geschlossenheit, selbst wenn Chor und Orchester rhythmisch gelegentlich auseinanderdrifteten. Gerade der Chor fand am Ende in Hermanns Todesvision kurz jenen rauschhaften Schleierklang, der Tschaikowsky vorschwebte – für einen Augenblick lag der Musikalische Olymp in Sicht(hör)weite.
Doch dieser Augenblick genügt nicht, um einen Abend zu retten, der das kostbare Zusammentreffen eines erprobten Weltklasse-Solistenensembles mit musikalischer Sabotage eskortiert. „Pique Dame“ erzählt von der zerstörerischen Obsession, mit der ein Einzelner das Glück erzwingen will. Münchens Produktion zeigt ungewollt ihr Negativ: wie Inspirationsarmut ein fein gesponnenes Meisterwerk stückweise lähmt. Man verließ das Nationaltheater mit dem Gefühl, einer Partie beigewohnt zu haben, in der großartige Sänger bis zuletzt blufften – und am Ende trotzdem die falsche Karte aufgedeckt wurde.
Autor:Marko Cirkovic aus Durlach |
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