Kommt die 15-Minuten-Stadt in Deutschland? Bundesinstitut ermittelt Chancen und Hebel

- Pullfaktoren sorgen für mehr 15-Minuten-Städte auf der Nachfrageseite
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Mainz/Neustadt. Die 15-Minuten-Stadt ist in großen Teilen von Paris bereits Realität. Eine Studie des Bonner Bundesinstituts für Raumforschung (BBSR) ermittelte, ob es auch in Deutschland Chancen für 15-Minuten-Städte gibt und mithilfe welcher Hebel sie sich etablieren lassen.
Von Julia Glöckner
Die 15-Minuten-Stadt, die Baudezernent Moreno in Paris seit Jahren umsetzt, liefert einfache Lösungen für große Menschheitsprobleme: Alle Dinge des Alltags – Schulen, Ärzte, Freizeitangebote, Läden, der eigene Arbeitsplatz – sollen in den Städten in 15 Minuten erreichbar sein, und zwar mit einem Mix aus Radeln, Gehen und ÖPNV. So könnten Städte das Ziel der Klimaneutralität und Schadstofffreiheit bis 2045 deutlich realistischer erreichen und sich gegen Anonymisierung wappnen.
Das Forschungsprojekt
Projektleiterin Brigitte Adam und ihr Team legten zunächst die Kriterien fest, die erfüllt sein müssen, damit von einer 15-Minuten-Stadt die Rede sein kann. Man definierte 24 Alltagsziele, die in den Stadtvierteln in 15 Minuten erreichbar sein müssen.
Danach ermittelte das Team für Deutschlands Städte, wie schnell diese Alltagsziele erreichbar sind. Das Ergebnis: Sogar die 10-Minuten-Stadt gibt es in Deutschland schon vielerorts in Ballungszentren und Großstadtregionen, zumindest mit Blick auf die Angebote vor Ort. „In Neustadt und vielen weiteren Zentren der Pfalz haben wir die 5- bis 7-Minuten-Stadt“, erklärte Projektleiterin Adam im Zentrum für Baukultur. „Je größer die Stadt, desto kürzer die Wege.“ In Kleinstädten findet man die 15-Minuten-Stadt dagegen deutlich seltener, genauso wie in Landkommunen. „Das zeigt sich auch bei Wohngebieten am Stadtrand, die kaum eine Funktion über das Wohnen hinaus haben“, sagte Adam. Dort fehlen noch Angebote.
Starke Verdichtung bringt Nachteile
Je dichter die Stadt, desto kürzer die Wege? Das ist nicht ganz richtig. Vielmehr flacht der Zusammenhang logarithmisch ab. „Bei einer Dichte von 120 Einwohnern pro Hektar haben wird die 5-Minuten-Stadt. Mehr Dichte sorgt nicht für noch kürzere Wege, sondern für längere. Die Gründe sind durchmischt: Es gibt weniger Grünflächen in verdichteten Vierteln wie etwa dem Hemshof in Ludwigshafen. Außerdem geht eine starke Innenentwicklung zulasten von Radwegen“, so Adam.
Wie wird die 15-Minuten-Stadt genutzt?
Das Team wollte auch wissen, wie 15-Minuten-Städte angenommen werden. Es führte Umfragen durch, um die Nachfrage zu ermitteln. Demnach werden die Angebote vor Ort nicht überall gleich genutzt: Von City-Bewohnern wird der Pkw viel seltener benutzt als von Bewohnern in Randlagen. „Denn am Stadtrand sind die Wege autofreundlich, es gibt weniger Ampeln“, betonte Adam. In Top-Randlagen wohnen außerdem einkommensstarke Haushalte, für die das Auto ein Statussymbol sein kann.
„In Mittel- und Kleinstädten wird mehr zu Fuß gegangen. In Großstädten mehr Öffis benutzt“, sagte Adam. „Es gibt dort höhere Takte und mehr Linien, insgesamt ein besseres Angebot. Das klare Ergebnis ist aber: In 15-Minuten-Städten wird weniger Auto gefahren als in Städten, in denen es nicht ausreichend viele Angebote gibt.“
Die Rolle der Wahlmöglichkeiten
Wahlmöglichkeiten spielen eine wichtige Rolle dabei, ob die Angebote vor Ort angenommen werden. „Denn es gibt persönliche Präferenzen. Ein Vegetarier, der beim Griechen nur ein Menü auf der Speisekarte findet, wird vielleicht nicht noch mal hingehen“, sagte Adam. Auch kann das Gastronomieangebot in Tourismushochburgen wie Neustadt und Landau, die bekannt dafür sind, dass Weinstraßentouristen sie in der Hochsaison stark frequentieren, für manche Gruppen der heterogenen Bevölkerung nicht passend sein. Adam berichtet, dass sie die 5-Minuten-Stadt neugierig bereist habe, allerdings 2 Euro pro Eisbällchen bezahlt hat. Die Tagestouris dort müssen meist nicht sehr aufs Geld schauen. Eigentliche gäbe es in Neustadt die 5-Minuten-Stadt, weil mittel- und niedrigpreisige Restaurants nicht im Zentrum liegen, eben doch nur die 15-Minuten-Stadt. Andererseits bringen die Touris den Pfälzischen Städten Einnahmen, die sich brauchen, um sich zu weiterzuentwickeln.
Hohe Preise sind für Touristendestinationen nicht ungewöhnlich. In Mittelmeerdestinationen Frankreichs, wo das Konzept herkommt, verdoppeln sich die Lebensmittelpreise in Supermärkten in der Hochsaison von Mai bis September, für machen Produkte verdreifachen sie sich: 4,70 Euro für ein Paket Tabulé und 5,50 Euro für ein paar geschälte Schrimps. Unter dem Jahr, wenn die Touristen weg sind, halbieren sie sich wieder. Die berühmte Marseiller Fischsuppe kostet 35 Euro, in einer Stadt, die mit sozialen Verwerfungen kämpft. Ärmere Einheimische fahren mit Metro, Öffis oder Auto weit aus der Stadt hinaus, um einzukaufen. Solche Preisentwicklungen gibt es in Deutschland bislang nicht.
„Diese Städte entwickeln sich vielleicht noch, was bedingt beeinflussbar ist“, sagte die Projektleiterin. Hebelwirkung hätten dagegen ganz klar die üblichen Push und Pull Faktoren. „Wir brauchen attraktive, begrünte Fuß- und Radwege. Werden Radwege auf den Gehweg verlegt, kommen Radler und Fußgänger in Konflikt. Auf die Straße verlegte Fahrstreifen für Radler gibt es allerdings noch nicht überall. Auch die durchgesetzten Tempolimits in Städten reichen noch nicht aus. Den Platz fürs Parken einzuschränken, kann für bessere 15-Minuten-Städte sorgen. Die Frage ist, ob das breite Akzeptanz findet und das alle wollen“, sagte Adam. Vom „Überfrachten der Städte“ durch produzierendes Gewerbe oder Mehrfachnutzung verkehrsberuhigter Straßen, etwa als künftige Partymeile, hält Adam dagegen nichts. „Wohnen muss attraktiv bleiben.“jg
Wie können Verkehrs- und Stadtplaner Städte gestalten, damit die 15-Minuten-Stadt noch mehr im Alltag der Menschen ankommt?


Autor:Julia Glöckner aus Ludwigshafen |
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