Zwischen Traum und Ausruf
Schuberts Welten mit Goerne und Trifonov im Festspielhaus Baden-Baden

Foto: Michael Gregonowits

Es ist ein merkwürdiger, zunächst fast unscheinbarer Beginn dieses Abends, den Daniil Trifonov mit Schuberts G-Dur-Sonate D 894 eröffnet. Der erste Akkord legt sich nicht wie ein Statement in den Raum, sondern wie ein Hauch, weich, warm, in jener typischen, scheinbar einfachen Spät-Schubert-Tonalität, die erst nach und nach ihre Abgründe zeigt. Trifonov formt diese Ruhe mit einer fast paradoxen Mischung aus Zartheit und trockener Klarheit: der Klang ist nie verwaschen, sondern von einer warmen Trockenheit, die das Gesagte nicht sentimentalisieren will. Wenn sich dann die ersten Läufe aus dem ruhigen Puls des „Molto moderato“ lösen, verändert sich die Sprache. Die Bewegung in den Mittelstimmen, das dichte Netz aus triolischen Figurationen und feinen harmonischen Verschiebungen tritt hervor, und plötzlich wird diese Sonate eruptiv, ohne je die innere Achse zu verlieren.

Gerade in der schier endlosen Weite dieses ersten Satzes zeigt sich, wie bewusst Trifonov die großen Bögen spannt: er arbeitet die Kontraste zwischen expressiven Ausbrüchen und jenen trocken-ruhigen, fast meditativen Flächen heraus, ohne sie gegeneinander auszuspielen. Die Zurücknahme des Pedals in den stilleren Passagen, die präzise Gewichtsverteilung zwischen Melodie und Binnenstimmen, die sorgsam modellierten dynamischen Übergänge – all das lässt die Sonate zu einer Traumwelt werden, die nicht flüchtet, sondern sich schichtweise entfaltet. In den folgenden Sätzen – dem licht ausschreitenden Andante, dem transparent gehaltenen Menuett, dem beinahe tänzerisch schwebenden Finale – setzt sich dieses Prinzip fort: aus innerer Ruhe wachsen Verdichtungen, aus struktureller Klarheit Klangintensität. Am Ende steht keine spektakuläre Geste, sondern eine Interpretation, die gerade durch ihre Mischung aus kontrollierter Expressivität und warmer Nüchternheit nachhaltig berührt.

Nach der Pause stehen Daniil Trifonov und Matthias Goerne gemeinsam auf der Bühne – und doch beginnt nun ein ganz anderer Abend. „Schwanengesang“, diese posthum gebündelte Sammlung von Rellstab-, Heine- und Seidl-Liedern, wird hier nicht als lose Folge von Miniaturen dargeboten, sondern als innerer Weg, als Kette von Zuständen, die sich ohne sichtbare Naht aneinanderfügen. Zwei künstlerische Giganten stehen, sitzen da, und sie geben – bei aller vollkommenen Verschmelzung – nichts von ihrer Individualität preis. Am Klavier eine Bestimmtheit, die nie brutal wirkt, eine Sanftheit, die nie sentimentalisiert, eine Stärke, die sich aus der Artikulation und der Strukturarbeit speist; in der Stimme eine ständige Verwandlung, ein Hineinleben in jedes einzelne Lied, als wäre die Klangfarbe selbst der Text.

Goerne lässt seine Stimme nicht auf einem einzigen Ausdrucksniveau ruhen. In den lyrisch getönten Rellstab-Liedern entsteht eine Leichtigkeit, eine Zärtlichkeit, die Liebe behauptet, ohne sie zu verkitschen; sie ist eher ein tastendes Sich-Annähern als ein Ausstellen. In den Heine-Liedern wiederum verdunkelt sich der Ton, Schwere tritt hinzu, manchmal sogar eine Art vokaler Gewalt, die die brüchigen Bilder dieser Texte nicht glättet, sondern scharf zeichnet. Trifonov antwortet darauf mit einem Klavierspiel, das die harmonischen Spannungen freilegt, die modulatorischen Brüche betont, den Bass gelegentlich wie eine innere Stimme sprechen lässt und so das Klavier endgültig vom Begleitinstrument zum gleichberechtigten Träger des Ausdrucks erhebt.

Was diesen Abend jedoch über das bloß Exzellente hinaushebt, ist die physische Präsenz Goernes. Er singt nicht nur, er geht mit, er tanzt fast. Kleine, aber deutliche Bewegungen, ein Nachgeben der Schultern, ein plötzliches Verdichten des Körpers – alles steht im Dienst der Musik, nie als bloße Geste. Der Körper wird zum Resonanzraum des Ausdrucks, der Gesang zum sichtbaren Vorgang. So durchläuft man als Zuhörer tatsächlich die ganze Bandbreite der Emotionen: Leichtigkeit und Zuneigung, Bitterkeit und Aufbegehren, Einsamkeit und eine fast unerträgliche Innenspannung.

Am Ende steht kein friedliches Verlöschen, sondern ein überirdisches, ja gigantisches Crescendo, eher ein Ausruf als ein bloßer Schlusspunkt. Goerne bündelt die vokale Kraft, Trifonov trägt und schärft diese Steigerung bis zu einem Punkt, an dem sich alles zuspitzt – und plötzlich bleiben nur noch jene leichten, fast gewichtlosen Töne im Klavier, als fiele der Boden weg. Ruhe stellt sich nicht ein, eher eine vibrierende Unruhe, die in der Stille nachklingt. Dann erst dürfen wir gehen – nicht erlöst, aber verändert.

Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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