15 neue Stolpersteine erinnern an fünf Familien
Gegen das Vergessen

15 neue Stolpersteine, sorgen dafür, dass man beim Bummel durch Speyer über die Namen von NS-Opfern und damit über die Gräueltaten der Nazis stolpert. | Foto: Bauer
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Speyer. Genau 80 Jahre ist es am heutigen Donnerstag her, dass süddeutsche Juden ins französische Gurs deportiert wurden. Mehr als 6.500 Juden aus der Pfalz, Baden und dem Saarland wurden damals in das Internierungslager verschleppt. Nur wenige überlebten die Internierung, viele starben vor Ort oder wurden in weitere Internierungs- und Vernichtungslager gebracht.

Unter den rund 800 Pfälzer Juden, die mit den großen Deportationstransporten nach Südfrankreich gebracht wurden, waren auch 51 Speyerer Juden. In Erinnerung an diese Menschen, ihre Familien und ihre Geschichte wurden am heutigen Jahrestag der Deportation weitere Stolpersteine in der Speyerer Innenstadt verlegt - gegen das Vergessen. Die Stolpersteine, ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, werden vor den Wohnhäusern von Menschen verlegt, die zu Opfern des Nationalsozialismus wurden, die verhaftet, deportiert, vertrieben, zum Selbstmord gezwungen oder ermordet wurden. 

In Speyer war es heute die dritte Verlegung von Stolpersteinen: 15 neue Steine erinnern an die Mitglieder von fünf Familien, lassen die Speyerer und ihre Besucher beim Bummel durch die Innenstadt über die NS-Gräueltaten stolpern; die Steine im Straßen- oder Gehwegpflaster tragen auf der Oberseite kleine Messingplatten mit den Namen der Opfer. 

Am Postplatz 3 erinnern Stolpersteine jetzt an Familie Hildesheimer, die hier ab 1870 eine Musikalienhandlung betrieb. Die Hildesheimers zählen zu den ältesten jüdischen Familien in Speyer. Abraham Hildesheimer, der hier ab 1870 Musikinstrumente samt Zubehör anbietet, verlegt auch Musikstücke, gliedert eine Schreibwaren¬ und Papierhandlung mit einem Ansichtskartenverlag an und ist zudem Organist der Synagoge. Mit seiner Frau Malwine hat er zwei Kinder: Helene (geb. 1878) und Felix (geb. 1877).

Helene kann später mit ihrem zweiten Ehemann über Luxemburg nach Palästina flüchten; ihr Sohn aus erster Ehe stirbt 1941 im polnischen Chelmno. Felix erwirbt am 7. Juni 1904 von Mutter und Schwester deren Hausanteile. 1913 heiratet er Helene Simon (1891—1990); sie haben zwei Kinder: Martha (geb. 1913) und Elsbeth (geb. 1920). Mutter Malwine Hildesheimer lebt bis zu ihrem Tod am 22. Februar 1935 mit im Haus. Im April 1936 wird ihr Sohn Felix Hildesheimer der letzte Organist der Speyerer jüdischen Gemeinde.

Am 11. Januar 1939 wird Felix Hildesheimer gezwungen, sein Elternhaus an die Saarpfälzische Vermögensverwertungsgesellschaft zu verkaufen. Felix Hildesheimer wirft sich am 1. August 1939 auf der Bahnstrecke Speyer—Schifferstadt vor einen Zug. Seine Witwe wird 1940 nach Gurs deportiert, kann jedoch 1941 in die USA emigrieren. Tochter Martha war bereits 1938 die Flucht dorthin gelungen. Elsbeth emigrierte 1939 nach  Australien. 

In der Maximilianstraße 71 erinnern jetzt Stolpersteine an Familie Moritz. Adolph Moritz kommt am 1. Mai 1893 nach Speyer. Vor seinem Umzug lebte er mit seiner Frau Eugenie in Paris. Dort wird 1880 sein Sohn Georg geboren. Er ist vier Jahre alt, als seine Mutter 27-jährig stirbt. Neun Jahre später zieht er mit seinem Vater nach Speyer, wo dieser 1893 Mathilde Feibelmann in zweiter Ehe heiratet. Adolph und Mathilde eröffnen in der Maximilianstraße 71 ein Geschäft für Damenkonfektion, Wei߬, Kurz¬ und Modewaren.

Georg arbeitet mit seinen Eltern im Geschäft und übernimmt nach dem Tod des Vaters 1925 zusammen mit seiner Stiefmutter die Leitung der Firma. Georg ist Gefreiter im Ersten Weltkrieg, man ehrt ihn mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse. Diese Auszeichnung wird mit der Machtübernahme durch die Nazis wertlos. Jüdische Geschäfte werden boykottiert, die SA hindert Kunden am Betreten des Ladens. Drei Jahre später verkaufen Mathilde und Georg ihr Geschäft. Was genau Mathilde und Georg 1936 widerfahren ist, ist nicht bekannt. Am 2. Januar 1937 bringt sich Mathilde um, sie stirbt in der Diakonissenanstalt. Zwei Wochen später, am 18. Januar 1937, begeht Georg im Alter von 56 Suizid. Beide werden auf dem Jüdischen Friedhof Speyer beerdigt.

Albert Feibelmann, Mathildes Bruder, lebt mit seiner Familie ebenfalls in der Maximilianstraße 71; er emigriert 1936 mit seiner Frau Clara in die USA. Nach dem Selbstmord seiner Schwester und seines Neffen kommt Albert Feibelmann auf Besuch nach Deutschland, er stirbt unerwartet im Juli 1937 in Karlsruhe im Haus seines Schwiegersohns. Das Speyerer Anwesen Maximilianstraße 71 wird am 14. Dezember 1937 auf Alberts Witwe Clara – als Erbin – umgeschrieben. Erst 1939 wird es verkauft.

Ein Geschäft für Weißwaren betrieb Familie Herz in der Maximilianstraße 33. Maximilian Herz war der Sohn eines Langenfelder Viehhändlers. Nach einer kaufmännischen Lehre arbeitet er sich zum Abteilungsleiter hoch. Ende 1904 eröffnet der 26¬Jährige mit seiner Frau Juliane (Lina) einen Laden. Zunächst in der Maximilianstraße 24, später dann in Hausnummer 33; den Kauf kann sich Max Herz erst 1927 leisten.

1913 kommt Reinhold, das einzige Kind des Ehepaars, zur Welt. Reinhold war schon früh journalistisch tätig und wird in der ersten Juliwoche 1933 für etwa drei Monate zu „Schutzhaft“ verurteilt. Der Grund: „Verbreitung von Greuelnachrichten und Arbeit für eine verbotene Organisation“; gemeint ist die jüdische Jugendbewegung. Danach arbeitet er etwa dreieinhalb Jahre in Berlin und publiziert 1937 in seiner Heimatstadt unter anderem die erste Chronik der neuen Speyerer Jüdischen Gemeinde.

Am 1.Januar 1938 gelingt ihm die Auswanderung in die USA. Während der Reichspogromnacht wird die Schaufensterauslage des väterlichen Geschäfts geplündert, Max Herz für vier Wochen ins KZ Dachau verschleppt. Dort erlittene Schläge führen dazu, dass er auf dem linken Ohr nichts mehr hört. Am 1. August 1939 muss das Ehepaar in die Gilgenstraße 15b ziehen, ein sogenanntes Judenhaus. Auch sie hatten zuvor die umfassende Vollmacht zum Verkauf ihres Anwesens unterzeichnen müssen.

Alles ist für die Emigration vorbereitet, da werden Max und Lina Herz am 22. Oktober 1940 wie fast alle anderen jüdischen Speyerer nach Gurs deportiert, nur mit dem üblichen Handgeld und einem Koffer. Ihr Hab und Gut wird am 13. Februar 1941 öffentlich versteigert.

Als die beantragten Visa endlich eintreffen, gelingt dem Ehepaar Herz vom Lager Les Milles aus über Lissabon die Flucht in die Staaten. Wie ihr Sohn leben sie im nördlichsten New Yorker Stadtteil, Washington Heights, Heimat vieler Flüchtlinge, vor allem aus Deutschland und Österreich. Max Herz stirbt 1960, zwei Jahre nach seiner Frau. Reinhold, jetzt Reynold, heiratet in den 1940er Jahren Margot Posnansky und hat mir ihr zwei Kinder. Der Redakteur und Journalist arbeitet für jüdische Zeitungen und stirbt am 5. August 1980.

Adolf Aron Reichenberg wird am 5. Dezember 1867 in Hessen geboren. 1890 zieht er von Frankfurt/Main nach Speyer. 1895 heiratet er Friederike (genannt Ricka) Loeb in Frankenthal. Das Ehepaar eröffnet am 1. Juli 1905 in der Maximilianstraße 32 ein Geschäft für Bettwäsche, Daunen und Tischdecken. Adolfs und Rickas Sohn Ernst wird am 14. September 1896 in Speyer geboren. Ernst übernimmt von seinem Vater die Leitung des Geschäfts und heiratet am 17. Juli 1930 in Mannheim Ellen Neuberger, 1932 kommt die gemeinsame Tochter Dorrit in Speyer zur Welt.

1939 wird die Ehe geschieden, und Ellen zieht mit ihrer Tochter nach Mannheim. Nachdem die Nazis an die Macht gekommen sind,  versucht Ernst das Geschäft zu verkaufen. 1938 wird das Anwesen veräußert, nach der Deportation von Familie Reichenberg nach Gurs wird der Hausrat im Frühjahr 1941 öffentlich versteigert. Adolf Reichenberg stirbt sieben Tage nach der Deportation im Alter von 73 Jahren in Gurs an Herzversagen. Rickas Name erscheint am 20. Januar 1942 auf einer Liste zum Weitertransport nach Noé, dort stirbt sie 70-jährig am 14. Februar 1942.

Ernst wird von Gurs nach Noé, später von Drancy mit Transport 25 am 28. August 1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Ellen Reichenberg und ihre Tochter Dorrit werden von Mannheim aus nach Gurs deportiert. Am 21. März 1941 beantragen Mutter und Tochter die Entlassung wegen der geplanten Auswanderung in die USA. Am 2. Dezember 1941 erfahren sie, dass es vor dem 15. Januar 1942 keinen Platz auf einem der Schiffe gibt. Ellen erhält die Erlaubnis, sich vom 22. Juni bis 1. Juli 1942 in Marseille aufzuhalten. Dorrit, damals neun Jahre alt, kommt dort in ein Kinderheim. Sie wird gerettet, nach Lissabon gebracht und gelangt im Juli 1942 mit dem Schiff „Nyassa“ über Casablanca zu Verwandten in die USA. Ellen wird über Drancy nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Ebenso wie die Juden gehörten Jehovas Zeugen zu jenen Gruppen in Deutschland, die das NS-Regime von Anfang an fest im Visier hatte. Georg Jossé wurde am 18. Mai 1893 in Speyer geboren. Er wuchs im Elternhaus in der Kleinen Gailergasse 1 auf. Der Konditor wanderte 1914 nach Brasilien aus. Dort heiratete er am 30. Dezember 1916 Ida aus Leipzig. Die Ehe blieb kinderlos.

In Brasilien lernte das Ehepaar Jossé die Internationale Bibelforscher-Vereinigung kennen - in Deutschland anfänglich auch als "Ernste Bibelforscher" bekannt. Am 4. Oktober 1920 kehrten beide nach Deutschland zurück. In der Folge betrieb Georg Jossé im Nebengebäude seines Elternhauses eine Backstube. 1922/23 schlossen sich Ida und Georg aktiv der Speyerer Gruppe  der "Ernsten Bibelforscher" an.

1931 nahmen die Bibelforscher den Namen "Jehovas Zeugen" an. Gleich zu Beginn der nationalsozialistischen Machtergreifung im Frühjahr 1933 setzten die ersten Verfolgungsmaßnahmen gegen die Bibelforscher ein. Die Zeugen Jehovas wurden als erste religiöse Vereinigung mit einem Verbot belegt. Die Veranstaltung von Zusammenkünften, die Verbreitung von Druckschriften sowie jede Art der Werbung wurden unter Strafe gestellt.

Unbeirrt hielten Georg und Ida Jossé weiterhin an ihrer religiösen Überzeugung fest. Zwischen 1934 und 1943 wurden sie mehrmals verhaftet und verbrachten mehrere Monate im Gefängnis. Im Sommer 1943 wurde Georg wegen Verteilung von aus der Schweiz eingeschmuggelten Druckschriften festgenommen. Man brachte ihn ins Gestapo-Gefängnis nach München. Die dortigen Folterungen überlebte er nicht. Er starb am 22. September 1943. Ida überlebte die Gefangenschaft; sie war bis zu ihrem Tod am 14. Oktober 1962 eine eifrige Zeugin Jehovas.

Mehr Informationen über die Stolpersteine Speyer gibt es auf der Homepage der Initiative: www.stolpersteine-speyer.com

Autor:

Cornelia Bauer aus Speyer

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