Überzogene Maßnahmen, nicht an Absprachen gehalten und auch Jugendliche festgehalten
Vorgehen der Stuttgarter Polizei gerät immer stärker in die Kritik

Foto: Symbolbild Artis/Uli Deck
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Karlsruhe. Das Spiel des KSC beim VfB ist schon lange vorbei, doch das Derby zieht weiter seine Kreise – ganz besonderes durch das Vorgehen der Polizei in Stuttgart! Keine Randale, so der Tenor der Polizeimeldungen, und dies sei ein Erfolg der polizeilichen Maßnahmen.

Dieser „Erfolg“ ist aber wohl mit zweifelhaften Maßnahmen erkauft worden, denn es zeigt sich von Tag zu Tag deutlicher, dass das Vorgehen der Stuttgarter Polizei eine Reihe von falschen Einschätzungen, Fehlentscheidungen und unhaltbaren Maßnahmen war.

Anfahrt kurzfristig von der Polizei geändert
Die Polizei hat sich am Sonntagmorgen entgegen der ursprünglichen Planung entschlossen, „die erkannten Busse mit den Fans des KSC zum Bahnhof in Untertürkheim zu führen und die Fans dort aussteigen zu lassen“, so die Polizei Stuttgart in einer Meldung: „Ziel war es, einen geschlossenen Fanmarsch zusammen mit den in den Sonderzügen angereisten Fans durchzuführen.“

Eine Fehleinschätzung der Situation durch den Einsatzleiter, die letztlich zur Einkesselung von vielen Unbeteiligten führte! Die Absprachen wurden einseitig geändert, „die Situation hat sich bei der Anfahrt schlagartig geändert“, betont Volker Körenzig, Leiter des KSC-Fanprojekts: Die Fans wurden nicht wie geplant zum Gästeblock gebracht, sondern von der Polizei daran vorbeigeführt! „Wir hatten auch keinerlei Infos, wohin wir kommen“, moniert Körenzig. Die Polizei lotste die zwölf Busse zum Bahnhof Untertürkheim, dort mussten alle warten bis der Zug aus Karlsruhe ankam – und dann wurden alle zusammen, rund 2.000 Personen, zum rund zwei Kilometer entfernten Stadion eskortiert. Auch der Stadtjugendausschuss verurteilt das Vorgehen, "dass sich die Polizei beim Derby nicht an getroffene Absprachen gehalten hat“, so Daniel Melchien, Stadtjugendausschuss-Vorsitzender: Durch diesen "unverhältnismäßigen Einsatz der Polizei" sei das Fanprojekt massiv in seiner Arbeit beeinträchtigt worden.

Polizei Stuttgart führt alle Gruppen zusammen
Ein Vorgang, der Folgen für rund 600 Menschen hat. Auf dem Weg zum Stadion gab es bedauerlicherweise Gewalt. „Bereits nach Verlassen der Busse griffen Gruppen von KSC-Fans die Einsatzkräfte der Polizei an“, so der Polizeibericht, der vielen Schilderungen nach nicht so ganz der Realität entspricht. „Gruppen“ griffen die Polizei nicht an, doch wurden aus der größeren Menge heraus Böller geworfen – und auch Absperrmaterial. Bei jeder normalen Demo wird die Strecke vorab in dieser Beziehung „gereinigt“ – in Stuttgart hat man jedoch die Busse mit den Fans aus der aktiven Szene gewissermaßen direkt an eine Baustelle mit „Material“ geführt! Eine Entscheidung, die jeden Sicherheitsexperten die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lässt.

„Nachdem die Spitze des Marsches den Gästezugang erreicht hatte, wurde die Gruppe, aus der die vorangegangen Straftaten verübt wurden, vom Rest der Fans getrennt und angehalten“, erklärt Polizeisprecher Stephan Widmann gegenüber dem „Wochenblatt“. Doch da war die Menge schon längst gemischt. Mit anderen Worten: Die Polizei hat normale Stadionbesucher aus Karlsruhe mit Fans und Fan-Gruppierungen der aktiven Szene vermischt. „Warum macht man das“, wundert sich Körenzig – und setzt voller Unverständnis hinzu: „Wenn man schon behauptet, in den Bussen seien Gewalttäter, dann vermischt man die doch nicht auch noch mit anderen Besuchern!“

Das ist für viele Kommentatoren im Netz auch eine wichtige Frage: Bekannten Störern wurde die Möglichkeit gegeben, sich unter die normal mit den Sonderzügen angereisten Fans zu mischen – und dann wurden bedauerlicherweise aus dem Schutz dieser Menge heraus Straftaten begangen. Warum aber wurden die Busse nicht bei der Ankunft durchsucht? Genau diese Frage stellen sich auch viele szenekundige Sicherheits-Experten, die über die Vorgehensweise der Polizei in Stuttgart nur den Kopf schütteln. „Statt Deeskalation war es ne Provokation“, so der deutliche Kommentar eines Betroffenen im Netz.

Wasserwerfer, Pferde, Hunde, Hubschrauber in der Luft: ein massives Aufgebot der Polizei war im Einsatz. Die Besucher aus Karlsruhe wurden von der Polizei geradezu in einen Kessel geleitet – dabei komplett gefilmt! Was sich viele Beobachter dabei fragen: Warum wurde, trotz lückenloser Video-Aufnahmen, die Menschen dann erst einen Kilometer später kontrolliert – zudem in dieser Masse? Die Polizei korrigiert später die Zahl von zunächst angegebenen 200 auf 591, „darunter auch sieben Jugendliche“. Die Identitäten der Menschen wurden festgestellt, und durch einen Platzverweis vom Stadionbesuch ausgeschlossen!

„Der KSC distanziert sich von jeglicher Gewalt gegenüber Polizisten und verurteilt etwaige Angriffe auf das Schärfste“, so die Mitteilung des KSC: Bei der Polizeimaßnahme wurden aber nicht nur mutmaßlich gewalttätig gewordene Personen, „sondern mehr oder weniger willkürlich Fans, darunter auch Kinder, Jugendliche sowie Frauen, über fünf Stunden vor dem Stadion eingekesselt.“
Runtergebrochen bedeutet dies, dass die Stuttgarter Polizei Minderjährige und Frauen über fünf Stunden eingekesselt hat, deren „Vergehen“ es war, eine KSC-Wollmütze zu tragen… „Wir haben in Karlsruhe einfach keine Szene von 600 Ultras“, so Körenzig deutlich!

Nur zwei Dixi-Klos zur Verfügung – für Stunden!
KSC, Stadtjugendausschuss, „Supporters Karlsruhe“, der Dachverband der KSC-Fans, und auch die „Fanhilfe Karlsruhe“ kritisieren zudem, dass es nicht sein kann, dass Unbeteiligte über mehrere Stunden festgehalten werden und solange nicht die Möglichkeit haben, sanitäre Einrichtungen wie beispielsweise Toiletten zu besuchen oder sich mit Essen und Getränken zu versorgen. Die Polizei widerspricht dem und behauptet: „Für die Dauer der Maßnahme stellte die Polizei Getränke und Toiletten bereit, die für Großlagen dieser Art bei der Stuttgarter Polizei standardmäßig vorgehalten werden.“

Eine Aussage, die sich nicht deckt mit Erfahrungsberichten der Betroffenen. Auf „Wochenblatt“-Nachfrage erläutert Polizeisprecher Widmann, dass „zwei Dixi-Klos bereitgestellt wurden“. Zudem habe die Polizei „relativ schnell“, so Widmann, Getränke bereitgestellt. Zwei Dixi-Klos? Für 591 Menschen, die über Stunden in einem Kessel warten müssen? Kein Wunder, dass die Kommentare in den sozialen Netzwerken deutlich sind: „Auf Nachfragen ob es Getränke gibt, wurde geantwortet, diese sind aus“ und „Es gab keine Toiletten und schon gar keine Getränke.

„Die Umsetzung der polizeilichen Maßnahmen war aus unserer Sicht unverhältnismäßig. Auch die Kommunikation gegenüber Fans, Fanprojekt, Fanbetreuung und Vereinsvertretern hätte besser laufen müssen“, moniert KSC-Geschäftsführer Michael Becker. Informationen durch die Polizei an die Betroffenen gab es im Laufe der Aktion so gut wie keine. Zudem wurden nach KSC-Informationen keine szenekundigen Beamten aus Karlsruhe bei den Stuttgarter Maßnahme hinzugezogen.

„Die Identitätsfeststellung aller 591 Beteiligten zog sich bis gegen Spielende hin“, so die Polizeimeldung: „Nach Spielende begleitete die Polizei die Angereisten einschließlich derer aus dem Gästefanblock wieder zurück nach Untertürkheim.“ Verklausuliert geschrieben, heißt es doch nichts anderes, als dass die Kontrollierten das mit Spannung erwartete Derby trotz gültiger Eintrittskarte nicht im Stadion verfolgen konnten! Viele Karlsruher stellen sich dabei die Frage, ob die Polizei ob dieser Fehleinschätzung der Lage nicht die Eintrittskarten ersetzen muss. Auch mit diesem Sachverhalt befassen sich aktuell Anwälte.

Jugendlicher stundenlang von der Polizei festgehalten
Zudem waren auch Minderjährige im Kessel, die auch von der „Fanhilfe Karlsruhe“ betreut wurden. Höchst erstaunlich war jedoch die Antwort der Polizei auf Nachfrage des Wochenblatts, die Jugendlichen hätten sich ja nicht zu erkennen gegeben. Sorry, mal deutlich gefragt: Welcher Jugendliche von 14 oder 15 Jahren weiß, dass er sich in einer solchen Situation melden muss? Da konnte auch Polizeisprecher Widmann keine Antwort geben!

Lag etwa ein Tatverdacht gegen die Jugendlichen vor? Wurden die Eltern informiert? Wurden die Minderjährigen altersentsprechend belehrt? Fragen über Fragen, die der Polizeisprecher nicht beantworten konnte! Oder handelte es sich dabei dann doch eher um eine vorsorgliche Bereitstellung der Datensätze zur Aufklärung zukünftiger – noch zu erwartender – Straftaten? Deshalb ist der Kommentar der Polizeimeldung zur erkennungsdienstlichen Behandlung der Minderjährigen mehr als erstaunlich!
Die Polizei-Aktion hat längst auch eine politische Dimension erreicht: Denn Eltern eines Jugendlichen, der über Stunden festgehalten wurde, haben sich mit einer Beschwerde auch an die Landesregierung gewandt.

Stuttgarter Polizei leitet Besucher aus Karlsruhe in den VfB-Bereich
Doch auch mit dem Pkw anreisende Besucher aus Karlsruhe hatten unter den Entscheidungen der Stuttgarter Polizei zu leiden: KSC-Fans wurde im Vorfeld das Parkhaus „P7“ als Parkplatz genannt, in der Nähe des Gästeeingangs des Stadion. Allerdings war dieses Parkhaus am Spieltag für Stunden nicht erreichbar, denn die Zufahrt war abgesperrt. Stattdessen wurden Fahrzeuge mit „KA“-Kennzeichen durch die Polizei auch zum Wasen gelotst. Eine solche Anweisung beim Baden-Württemberg-Derby zu geben, zeugt entweder von völliger Verkennung der Sachlage, von schlichter Ignoranz oder gar von Absicht.

Denn etliche Fahrzeuge von KSC-Fans, die auf den Wasen fuhren, wurden bespuckt, es wurden Bierbecher danach geworfen, in einem Fall gab es nach dem Spiel einen platten Reifen – und Fahrzeuge wurden angepinkelt! „Eklig! Das war nach dem Spiel deutlich erkennbar“, so Thorsten W, der seinen Wagen am Montag in die Waschstraße fuhr – und zurecht fragt: „Wer zahlt mir das?“ Leider kein Einzelfall, denn auch das „Wochenblatt“ war vor Ort Augenzeuge solcher Vorfälle. Auf diese, der Polizei gegenüber angesprochenen Punkte, gab es fast gebetsmühlenartig die Antwort, man habe „keine Kenntnis von diesem Sachverhalt.“
Dabei hatte es schon im Vorfeld des Derbys zahlreiche Maßnahmen gegenüber den Karlsruher Anhängern gegeben, die durchaus den Eindruck der „Sippenhaft“ aufkommen ließ. (jow)

Autor:

Jo Wagner

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