Hände weg von Helfern: Feuerwehrleute und Sanitäter als Opfer
- Hat das BOS-Netzwerk gegründet: Oliver Vollmer
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Westpfalz. Oliver Vollmer (Jahrgang 1973) aus Kaiserslautern ist Polizist. Er engagiert sich ehrenamtlich im Katastrophenschutz des Landkreises Kaiserslautern und er war lange Jahre im Rettungsdienst und bei der Freiwilligen Feuerwehr tätig. Beides hat er mittlerweile an den Nagel gehängt. "Aus Gewissensgründen", wie er sagt. Als Polizist hat er gelernt, mit einem sogenannten Gefahrenradar Risiken frühzeitig zu erkennen. Feuerwehrleute und Rettungssanitäter durchlaufen dieses Training nicht. Ihr Fokus liegt darauf, Leben zu retten, nicht, sich selbst zu schützen – und gerade deshalb sind sie in Einsätzen besonders gefährdet.
Von Monika Klein
Mit "Gefahrenradar" wird das bewusste Wahrnehmen der Umgebung, der anwesenden Personen und deren Verhalten mit geschärften Sinnen bezeichnet. Er ist fester Bestandteil der Ausbildung von Polizisten. Sie werden darauf vorbereitet, bei ihren Einsätzen mögliche Risiken zu erkennen, einzuschätzen und entsprechend zu reagieren. Feuerwehrleute und Rettungssanitäter durchlaufen eine solche Schulung nicht und sind deswegen besonders gefährdet. Gewalterfahrungen sind für alle drei Gruppen fast an der Tagesordnung – ein Thema, das Vollmer bewegt. Denn er selbst hat vor allem im Rettungsdienst wiederholt Gewalterfahrungen gemacht. "Das macht etwas mit einem", meint er, "die Empathie geht verloren und man will sich nicht dazu zwingen."
Vollmer ist auch Gründer und Vorsitzender des seit 2015 bestehenden Vereins BOS-Netzwerk, der mit Aus- und Fortbildungen und mit dreimonatlichen Stammtischen die Akteure der Blaulichtfamilie zusammenbringt. Schnell ploppte dabei das Thema Gewalt auf. "Angriffe gab es schon immer", berichtet der Polizeibeamte. Als Beispiele führt er Standardsituationen an, etwa die Räumung von Straßen und Gebäuden bei Bränden oder Straßensperrungen nach einem Verkehrsunfall und bei Veranstaltungen. Dann wollen uneinsichtige Autofahrer die Durchfahrt mit Diskussionen erzwingen und werfen den Einsatzkräften übelste Beleidigungen an den Kopf.
Rettungssanitäter besonders gefährdet
Diese verbalen Angriffe stellen laut einer Studie der Universität Bochum von 2018 mit 60 Prozent die häufigste Form der Gewalt dar, gefolgt von nonverbaler Gewalt (Mittelfinger zeigen, angedeuteter Faustschlag) mit 49 Prozent und körperlicher Gewalt (Schlagen, Schubsen, Anspucken, Treten, Waffeneinsatz) mit 13 Prozent. Schon damals waren mit 64 Prozent der Einsatzkräfte in den vergangenen zwölf Monaten Opfer von Gewalt geworden. Rettungssanitäter sind demnach gegenüber Polizisten und Feuerwehrleuten einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt.
Die Studie stellt auch eine allgemein höhere Gewaltbereitschaft und zunehmende Übergriffe auf Einsatzkräfte fest, was sich mit Angaben des Bundesinnenministeriums deckt, die im Oktober 2024 veröffentlicht wurden: Die registrierten Gewalttaten gegen Polizistinnen und Polizisten haben mit 46.218 Fällen im Jahr 2023 einen neuen Höchststand erreicht. Das entspricht einem Anstieg um acht Prozent gegenüber dem Vorjahr und der stärksten Zunahme seit 2017. Ebenso haben die Gewalttaten gegen Rettungs- und Feuerwehrkräfte einen neuen Höchststand erreicht: 687 Fällen (plus 5,7 Prozent) und 1069 Opfern (plus 13,7 Prozent) bei der Feuerwehr sowie 2050 Fällen (plus 6,8 Prozent) und 2902 Opfern (plus 8,4 Prozent) bei sonstigen Rettungsdiensten.
"Kein Held sein wollen"
Polizisten werden durch Deeskalationstraining, bei dem das Wort als Haupteinsatzmittel gilt, und Kampfsport auf gewaltbereite Gegenüber vorbereitet. Mit beschwichtigenden Worten lasse sich aber, so Vollmers Erfahrungen, sturzbetrunkenen oder unter Drogen stehenden Personen kaum beikommen. Für Feuerwehrleute und Sanitäter, die helfen wollen, ist das Risiko ungleich höher, denn sie werden oft von der Eskalation überrascht. Zudem handelt es sich laut dem BOS-Vorsitzenden nur selten um tatsächliche Notfälle. "Sich der Tatsache bewusst sein, dass es mich auch treffen kann", lautet sein Rat. "Immer überlegen, wie man sich der Gewalt entziehen und fliehen kann, auch wenn das negativ besetzt ist. Kein Held sein wollen und auf ein blödes Bauchgefühl hören." Vollmer weist aber auch darauf hin, dass Notwehr und Nothilfe – also das Eingreifen, um ein Opfer zu schützen – aus juristischer Sicht erlaubt sind.
Strengere Urteile gefordert
Die zunehmende Gewaltbereitschaft innerhalb der Bevölkerung sieht Vollmer als ein gesamtgesellschaftliches Problem an. "Ich bezweifle tatsächlich, dass es in der Macht der Politik steht, hier Abhilfe zu schaffen. Hier ist in der Tat jeder Einzelne gefordert, solche Verhaltensweisen klar und deutlich zu verurteilen und sich nicht falschen Rechtfertigungen oder einem fehlgeleiteten Verständnis hinzugeben. Jede Relativierung ist hier einfach fehl am Platze." Er richtet seinen Blick auf die Gerichte. "Die Politik hat die sowieso schon bestehenden Rechtsnormen geschärft und der Justiz die Möglichkeit gegeben, entsprechende Taten zu sanktionieren. Jetzt liegt es auch an den Richtern, hier die strafrechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und den Einsatzkräften so den Rücken zu stärken. Viel zu viele allzu milde Urteile treffen beteiligte Helfer in Deutschland und sorgen für Unverständnis."
Das BOS-Netzwerk
Die Zusammenarbeit aller Akteure der Gefahrenabwehr zu verbessern, ist das Ziel des BOS-Netzwerkes. Ausschlaggebend für die Gründung waren Oliver Vollmers Erfahrungen im Polizeidienst. Aufgrund der hohen Einsatzdichte und Personalfluktuation seien das gegenseitige Verständnis und der Austausch zu kurz gekommen. Damit war 2013 die Idee für die ersten Stammtische geboren, die in quartalsmäßigem Turnus stattfinden und im Januar 2015 in die Vereinsgründung mündeten. Daneben bietet das Netzwerk auch Aus- und Fortbildungen an, unter anderem zu Gewalt gegen Einsatzkräfte. Dem Netzwerk gehören 70 Mitglieder an, darunter auch Bundeswehr, Nato-Angehörige oder auch Privatleute. Die Stammtische sind öffentlich, die Teilnahme auch ohne Anmeldung möglich. Mehr Infos gibt es online unter www.bos-netzwerk.org.
Autor:Monika Klein aus Kaiserslautern |
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