Die Alte Ziegelei in Sondernheim bei Germersheim
Industriekultur in Sondernheim: Entschleunigen ohne lange Anreise

Die ehemalige Ziegelei Stubenrauch ist heute unter dem Namen "Alte Ziegelei" ein Privatmuseum, das die Geschichte der Ziegelei Stubenrauch zeigt und erlebbar macht. | Foto: Lutz
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  • Die ehemalige Ziegelei Stubenrauch ist heute unter dem Namen "Alte Ziegelei" ein Privatmuseum, das die Geschichte der Ziegelei Stubenrauch zeigt und erlebbar macht.
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Sondernheim. In Sondernheim gibt es ein wunderschönes Industriemuseum zu entdecken
- und zwar nicht nur für Fans von Feldbahnen. Idyllisch am Rheinufer gelegen ist das Ziegeleimuseum mit eigener Feldbahn ein interessantes Ziel für Naturliebhaber und alle, die vom stressigen Alltag entschleunigen wollen.

Die Alte Ziegelei ist nicht irgendein Museum der Industriegeschichte der Südpfalz. Sie ist ein Kleinod mit original rekonstruierten Maschinen, Öfen, Trockenschuppen und vor allem viel Natur. Das Highlight ist eine Feldbahn, die zwischen Obstbäumen, Schuppen und Tieren über das Gelände tuckert.

Seit 20 Jahren sind Cornelia und Johannes Haag nahezu jedes Wochenende in ihrer Ziegelei. Johannes Haag träumte von einem Baggersee in der Pfalz mit einem alten Schiff, das er restaurieren wollte. Über einen Schulfreund, der eine Pfälzerin heiratete, fand er die ehemalige Ziegelei Stubenrauch, die vor sich hingammelte. Es war Liebe auf den ersten Blick. Da beide hauptberuflich in der Altbausanierung tätig sind, wussten sie, wie viel Arbeit auf sie zukommen würde. Aber sie kauften das Objekt. "Der Zustand war eine Katastrophe. Überall lag einfach nur Müll. Nichts erinnerte daran, dass hier eine Ziegelei war“, blickt Cornelia Haag zurück. Mit viel Liebe, Leidenschaft, Geld und einer gehörigen Portion Idealismus wurden die Gebäude originalgetreu saniert. Die Trockenanlagen im Garten wurden wiederaufgebaut, ihre Dächer komplett neu gedeckt. Die Gleise für die Feldbahnen mussten gänzlich neu verlegt werden. Es dauerte Jahre, bis die Ziegelei ein Museum wurde und noch viel länger, bis auch der Garten angelegt war. Verkompliziert wurde vieles durch den Standort. Die Ziegelei ist im Landschaftsschutzgebiet „Pfälzische Rheinauen“ und im Fauna-Flora Habitat Schutzgebiet „Hördter Rheinaue“ angesiedelt. Das durchkreuzte manchen Plan und erforderte manches Gutachten.

Vom Industriebetrieb zum Privatmuseum

Über Jahre hinweg kauften die Haags immer wieder Maschinen, Bahnen und Werkzeuge hinzu.  Zuletzt kam ein sogenannter Schienenkuli nach Sondernheim  mit einem Zylindermotor Baujahr 1932. Er muss noch mit Kurbel und Zündhütchen gestartet werden. Die Besucher sollen Eindruck davon bekommen, wie hier über 100 Jahre Ziegel produziert wurden. Gegründet wurde die Fabrik 1834 durch die Brüder Bernhard, Josef und Jan Stubenrauch. Zunächst stellten sie Handstrichbacksteine her, denn der benötigte Lehm konnte aus dem Willig gewonnen werden. Später wurde der Lehm aus dem badischen Rußheim mit dem Schiff zur Ziegelei gebracht. Im 20.
Jahrhundert wurden die ersten Ziegel in Feldbrandöfen gebrannt, später im Rundbrandofen. 1974 schloss der Familienbetrieb nach über 160 Jahren, weil er als kleiner Betrieb nicht mehr konkurrenzfähig war. Bis ins Jahr 2000 lag die Ziegelei brach und gammelte vor sich hin.

Heute ist es ein Privatmuseum, das Zeugnis von einer langen Industriegeschichte ablegt. In der Werkstatt findet man viele Werkzeuge, im Hof die entsprechenden Maschinen. Aber nicht nur die Ziegelei als Betrieb ist ein Besuch wert, sondern auch die Grünanlagen. Auf dem Gelände finden sich seltene Pflanzen, Obstbäume, Feigen und sogar Kiwis. „Sie dienen oft als Futter für unsere Tiere“, lacht Cornelia Haag. Auf dem Anwesen leben seltene Mückenfledermäuse, unzählige Vogelarten, Störche, Falken, Schleiereulen, Insekten und insgesamt 17 Pfauen. „Uno“ ist der bekannteste Pfau. Er spaziert frei auf dem Gelände und zeigt den Besuchern sein prachtvolles Pfauenrad.
Zu Cornelia Haag hat er eine besondere Beziehung. Sie rettete sein Ei, als ein Marder die Eier stehlen wollte. Wenn sie an dem Prachttier vorbeiläuft, zeigt er jedes Mal sein schönes Pfauenkleid. Über 1300 Mückenfledermäuse haben sich in vergangenen Jahren im Zwischendach der Schmiede einquartiert, wo sie genug Platz haben, um Jahr für Jahr ihre Jungen aufzuziehen. Dieses Jahr seien es nur 700. Trotzdem sei die Ziegelei deutschlandweit die größte Kolonie.  Außerdem gibt es eine Ausstellung mit Tierpräparaten zu sehen, die unsere heimische Natur- und Tiervielfalt zeigt. 80 Prozent der Exponate stammen aus der Sammlung von Erich Bettag. Marietta Kazkin-Bettag, seine Schwiegertochter, half bei der Aufbereitung. Weitere Exponate stammen von Willi Aures, Bernhard Hartwig und Cornelia Haag. 

Weekends for Future

Die Wochenenden verbringt das Paar mit Instandhaltungsarbeiten. Das Mähen in den Gleisen und rund um die seltenen Pflanzen dauert lange. Rund um Gleise, Maschinen, Obstgarten oder Weinreben fallen ständig arbeiten an. „Wir wollen das noch machen, so lange wir können“, sagt Cornelia Haag. An der Ziegelei hängt ihr Herz. Dass die Haags das Museum pflegen, hat viel mit Nachhaltigkeit und Liebe zur Natur zu tun. „Wir machen hier quasi Fridays, Saturdays and Sundays for Future seit
20 Jahren“, lacht Johannes Haag. Beide engagieren sich für den Naturschutz. Das Ziegeleimuseum bezeichnen die Haags als „Privatvergnügen“, das sie einmal im Monat und auf Anfrage mit der Öffentlichkeit teilen. Aber es ist auch Ausgleich zum stressigen Beruf und zur hektischen Metropole Stuttgart. „Hier draußen am Rhein sitzen, das beruhigt“, sagt Haag. Für ihr Engagement hat das Ehepaar den pfälzischen Denkmalspreis bekommen. Das sei eine Freude gewesen, weil man sich für den Preis nicht bewerben kann, sondern auserwählt wird. „Wir betreiben hier nur sanften Tourismus. Wer kommt, der kommt“, so Cornelia Haag. 
Seit die Haags ein Café und einen kleinen Biergarten verpachtet haben, ist im Sommer allerdings viel mehr los. Radfahrer und Spaziergänger halten hier eigentlich immer. Sie entschleunigen, sie halten inne und genießen die Ruhe am Rhein. Im und rund um das Ziegeleimuseum dreht sich die Welt ein bisschen langsamer. Das Internet hier ist langsam, die Stromleitung liegt kompliziert. Unterhaltungselektronik benötigt hier keiner. In diesem kleinen Paradies gibt es genug zu entdecken. Schöner kann ein Ausflug an den Rhein nicht sein.

Info
Das Ziegeleimuseum öffnet immer am ersten Sonntag im Monat von 10 bis 15 Uhr. Mit dem Rad ist es von der Schiffanlegestelle Germersheim schnell erreichbar. Beim großen Tag des offenen Denkmals ist die Ziegelei am Samstag und Sonntag (7. und 8. September) geöffnet von 10 bis 17 Uhr.  Hierbei findet auch ein großer Flohmarkt statt.  
http://www.ziegelei-sondernheim.de/

Autor:

Wochenblatt Archiv aus Germersheim

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