Käferinvasion in Erlenbach: Sommerabend endet mit schmerzhaften Blasen
- Etwa eineinhalb Zentimeter lang und eher unscheinbar: der Krainer Scheinbockkäfer
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Erlenbach. Ein lauer Sommerabend auf der Terrasse, Familienmitglieder sind geladen, der Pool für die Kinder ist gefüllt und es gibt Gegrilltes – was sich nach entspannten Stunden im Freien und guter Laune anhört, wurde Mitte Juli für Familie Baumgärtner aus Erlenbach und ihre Gäste zu einem Horrorabend. Mit der Dämmerung fiel eine Invasion von Krainer Scheinbockkäfern über die zehn Anwesenden her. Sie hinterließen auf der Haut brennende, schmerzende Blasen. Was hat es mit diesem Käfer auf sich und was sagen ein Experte, die Stadt Kaiserslautern und Waldforscher zu diesem Phänomen?
Von Monika Klein
Familie Baumgärtner wohnt am Ortsrand von Erlenbach umgeben von Bäumen. Hinter dem Haus erstreckt sich ein Gelände von 2000 Quadratmetern mit Mischwald, ein riesiger Spielplatz für die drei Kinder und ihre Freunde, wie er nicht schöner sein könnte. Vor gut einem Jahr hat die Familie das Haus bezogen. "Da hatten wir das Problem aber nicht", sagt Vanessa Baumgärtner und schüttelt den Kopf. Mit "Problem" meint sie den Albtraum, den sie und ihre Gäste an diesem Abend erlebt haben.
- Wird derzeit nur tagsüber genutzt: Vanessa Baumgärtner und ihre Familie trauen sich am Abend nicht mehr ins Freie
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Weißer Sonnenschirm wird schwarz
Mit Einbruch der Dämmerung zünden die Gastgeber Citronella-Kerzen an und auch die Solarleuchten schalten sich ein. Als die ersten Käfer anfliegen, ist die Gruppe nur genervt und greift zu einem Insektenschutzmittel, mit dem sich alle Anwesenden bis auf Vanessa Baumgärtners Mann Danny einsprühen. "Innerhalb von Sekunden sind die Käfer dann in Scharen gekommen, bestimmt tausend", schildert die 32-Jährige das Geschehen. Der weiße Sonnenschirm mit Beleuchtung sei schwarz gewesen. "Wir haben nur noch um uns geschlagen und sind ins Haus geflüchtet."
Am nächsten Morgen treffen die ersten Nachrichten der Gäste ein, dass sie übersät seien mit brennenden Blasen, berichtet die junge Frau weiter. Zunächst bringt sie das nicht mit der Käferinvasion in Zusammenhang, erst als sich bei ihr selbst Stunden später solche Blasen – ähnlich Brandwunden – bildeten, nachdem einer dieser Käfer an ihrem Hals gekrabbelt war und sie reflexartig auf ihn drauf gehauen hatte. An dem Grillabend selbst war das Ehepaar verschont geblieben, weil sie lange Kleidung getragen hatte und er vermutlich, weil er nicht das Insektenschutzmittel genutzt hatte.
- Die Folge des Gifts bei Hautkontakt: schmerzende, brennende Blasen
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- Heilen schlecht und können vernarben: Vanessa Baumgärtner hat die Blasen an ihrem Hals mit Zinksalbe behandelt
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Blasen wie Brandwunden
"Im Nachhinein haben wir dann eins und eins zusammengezählt", berichtet die dreifache Mutter, deren Recherchen sie zu dem Krainer Scheinbockkäfer führen. Sie wendet sich telefonisch ans Gesundheitsamt, an die Stadtbildpflege, an das Referat Grünflächen und an die untere Naturschutzbehörde, um von dem Vorfall zu berichten, aber auch, um anzuregen, die Bevölkerung etwa durch das Anbringen von Hinweisschildern zu warnen. "Eine Stelle hat mich zur nächsten geschickt, aber zugehört hat mir eigentlich keiner", zieht sie ein ernüchterndes Fazit.
- Gefangen im Glas: Vanessa Baumgärtner hat einen Krainer Scheinbockkäfer "inhaftiert"
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- Zwei lange Fühler und sechs Beine: ein Krainer Scheinbock von unten fotografiert
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Dabei hat es dieser Käfer im wahrsten Sinne des Wortes "in sich". Das weiß Martin Niehuis, Insektenexperte aus Albersweiler im Landkreis Südliche Weinstraße. Denn dessen Insektenblut, die Hämolymphe, enthält den Wirkstoff Cantharidin, ein hochwirksames Gift aus der Gruppe der Terpenoide. Bei Hautkontakt führt es zu schmerzenden Blasen, die schlecht heilen und auch vernarben können. Sein Tipp: "Das Verhalten gegenüber dem Tier ändern: nicht abwehren und drauf schlagen. Man sollte den Käfer wegpusten, vorsichtig abstreifen, auf einen Finger laufen lassen und absetzen. Wenn man ihn in Ruhe lässt, ist er völlig harmlos." Den Anflug könne man ohnehin nicht verhindern, denn: "Ist einer verscheucht, kommen andere nach."
Klimawandel treibt Ausbreitung voran
Das noch in den 1980er Jahren hierzulande recht seltene und auf den Südwesten Deutschlands begrenzte Vorkommen des Krainer Scheinbocks (Xanthochroa carniolica) habe dazu geführt, dass die Art auf die Rote Liste der gefährdeten Käfer Deutschlands gesetzt worden sei, führt Niehuis aus. "Von dieser Seltenheit kann inzwischen keine Rede mehr sein." Der Insektenkenner geht davon aus, dass die Population seitdem gestiegen ist, auch aufgrund des Klimawandels. "Die zunehmende Zahl der warmen Nächte und die insgesamt wärmeren Temperaturen können zu einer Massenentwicklung führen."
Dass die Sechsbeiner an dem besagten Abend neben den Lichtern von dem Duft der Citronella-Kerzen und des Insektenschutzmittels in Scharen angezogen wurden, ist für Niehuis vorstellbar. Denn das Insekt, das sich tags versteckt hält, begibt sich ab der Dämmerung auf Nahrungssuche. Zu seiner Leibspeise gehören Blütenpollen, vor allem die des Seifenkrauts, aber auch Rotwein verschmäht es nicht. "Vorsicht beim Trinken", warnt er deshalb, hat aber auch gute Nachrichten: "Unterwegs ist der Krainer Scheinbock von Mai bis August. Bald klingt das Schwärmen aus."
Massives Auftreten lokaler Population
Dass es sich um eine lokale Population gehandelt habe, die dort massiv aufgetreten sei, vermutet Wolf Hoffmann. Er gehört zum Team des Referats Waldschutz der Zentralstelle der Forstverwaltung von Landesforsten in Neustadt/Weinstraße, das unter anderem auch Insektenmonitorings durchführt. Er sagt: "Für den Forst spielt der Krainer Scheinbockkäfer bislang keine Rolle. Wir hatten noch keine Berührungspunkte mit ihm."
Die Stadtverwaltung teilt auf Anfrage mit, dass der in Europa heimische Krainer Scheinbockkäfer nicht zu den invasiven Arten zähle und dass es sich bei der Meldung von Vanessa Baumgärtner um die erste dieser Art handele. Nach bisherigem Sachstand könne nichts veranlasst werden, so die Pressestelle, der Vorgang werde aber geprüft.
Für Baumgärtners ist jedenfalls seitdem am Abend der Aufenthalt im Freien passé. "Sobald die Dämmerung anbricht, sind wir alle drin", bedauert Vanessa Baumgärtner. Sie traue sich dann kaum auf die Terrasse und öffne auch kein Fenster, obwohl an vielen Insektengitter montiert seien. Nach Möglichkeit schalte sie auch kein Licht an. Vor allem aber tun ihr die Kinder leid, die zudem noch Ferien haben: "Wie soll ich ihnen das erklären?"
Info
Bürger, die ebenfalls von dem Krainer Scheinbockkäfer heimgesucht wurden oder ähnliche Erfahrungen mit diesem oder anderen Schädlingen gemacht haben, können sich an die Stadtverwaltung per E-Mail an servicecenter@kaiserslautern.de oder telefonisch unter 0631 3654050 werden.
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Autor:Monika Klein aus Kaiserslautern |
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