Autismus und Depression
Meine Gedanken zum Welttag der Suizidprävention

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Aufruf zur Prävention
Anlässlich des Welttags der Suizidprävention möchte ich – als Autist – auf einen wichtigen Aufruf von Aspies e. V. aufmerksam machen. Der Verein hat mehrere Partner für diesen Aufruf gewonnen wie: Autismus Deutschland e. V.; die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention, Sozialhelden e. V. und weitere.
Mit Bezug auf die Studien von Brown, Stewart und Cassidy fordern sie:
1. Dass Angebote der Suizidprävention auf die besonderen Bedürfnisse der Menschen im Autismus-Spektrum ausgerichtet werden müssen.
2. Dass insbesondere niedrigschwellige Beratungs- und Unterstützungsangebote für autistische Menschen gefördert werden müssen.
3. Dass das Thema Autismus Teil der Ausbildung von Fachkräften im Gesundheitswesen sein muss.
4. Dass Fortbildungen von medizinischen und psychologischen Fachkräften zum Thema Autismus gefördert werden müssen.
5. Dass autistische Menschen bei der Ausarbeitung aller Konzepte aktiv eingebunden werden müssen.
Warum sind Autisten besonders gefährdet?
Wer neurotypisch (= kein Autist) ist und wissen möchte, wie es sein kann, dass Autisten stärker gefährdet sind, den lade ich ein, folgendes Experiment durchzuführen:
Wenn Sie morgens zum Bäcker gehen und Brötchen kaufen, ist der Ablauf relativ eindeutig. Einmal beispielhaft aufgezeigt:
„Guten Morgen. Was möchten Sie?“
„Drei Brötchen bitte.“
„Hier. Das macht 1,80 €.“
„Hier 2 Euro.“
„Danke, hier sind 20 Cent. Einen schönen Tag noch!“
„Danke, Ihnen auch.“
Nun versuchen Sie, diesen eingespielten Ablauf einmal bewusst zu unterbrechen. Wenn die Verkäuferin Sie mit „Guten Morgen.“ begrüßt, halten Sie kurz inne und fragen Sie sie, was genau Sie mit „Guten Morgen“ meint. Ob sie damit meint, wie es Ihnen geht oder Ihrem Nachbarn oder Ihrer Familie usw.
Die meisten neurotypischen Menschen werden diesen sozial eingespielten Ablauf gar nicht erst durchbrechen können. Aber die, die es schaffen, werden ein tiefes Gefühl von Scham und Verlorensein empfinden.
Dieses Gefühl haben sehr viele von uns Autisten meist ihr gesamtes Leben lang, weil wir nicht wissen, wie wir in bestimmten Situationen reagieren sollen. Das sorgt dann für Ausgrenzung. Meist geht es schon im Kinder- und Jugendalter los, wenn sich Autismus zeigt und nicht gehandelt wird: Der Betroffene und unter Umständen seine Familie wird ausgegrenzt, was Depressionen und psychische Erkrankungen begünstigt. Darum verwundert es auch nicht, dass Autisten besonders durch Suizid gefährdet sind.
Was kann getan werden?
Psychische Erkrankungen wie Depression, die zum Suizid führen können, sind mit Psychotherapie therapierbar.
Autismus selbst ist unheilbar, weil es eine veränderte Gehirnstruktur ist und somit die Wahrnehmung anders ist. Einzig Abhilfe kann man schaffen. Ein großes Problem ist der Overload. Manche Sinneseindrücke können sehr stark wahrgenommen werden, andere schwach (zum Beispiel Riechen sehr gut, dafür Fühlen sehr schlecht). Ist ein Autist einem Reiz ausgesetzt, den er nicht gut filtern kann, führt das zum Overload. Der Overload ist mit der Reizüberflutung vergleichbar, nur können sich noch zwei weitere Phasen anschließen, die sich fließend abwechseln können: Der Meltdown (z. B. Schreien) und/oder der Shutdown (kriegt kurz nichts von seiner Umgebung mit). Die Kunst besteht darin, herauszufinden, ob jemand Autist ist, dass der Betroffene das auch anerkennt und gewillt ist, Abhilfe zu schaffen. Angenommen, er kann sehr gut hören, dann bieten sich in belastenden Situationen zum Beispiel das Tragen von Ohropax an.
Weiterhin gibt es Hilfen, mit denen wir Autisten uns in die Gesellschaft integrieren und besser darin leben können. Beispielsweise gibt es Autismustherapie, Dank der Autisten Mimik und Gestik besser verstehen und einüben können, was das Zusammenleben erleichtert.
Eine große Chance sind die Spezialinteressen, die wir Autisten haben, weil wir uns darin einen großen Wissensschatz anlesen können, der sich je nach Interessensgebiet gewinnbringend anwenden lässt. Solange wir diese Chance von der Gesellschaft bekommen.
Kurzum: Wenn die Gesellschaft uns einen Schritt entgegengeht, kommen wir ihr auch entgegen.
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