„Dauertalk über Nachhaltigkeit“ – Nachhaltigkeitsforscher nennt Gründe für verschleppte Klimawende

Hauptverkehrsachse Weena in Rotterdam: Die Niederländer sind Vorreiter bei der Straßenraumplanung. Auch die Kohl-Allee soll drei bis vier Baumreihen haben, aber in beide Richtungen zwei Autospuren mehr. Durch Trockenphasen im Sommer müssen die Bäume in Rotterdam schon heute manchmal bewässert werden.  | Foto: Julia Glöckner
  • Hauptverkehrsachse Weena in Rotterdam: Die Niederländer sind Vorreiter bei der Straßenraumplanung. Auch die Kohl-Allee soll drei bis vier Baumreihen haben, aber in beide Richtungen zwei Autospuren mehr. Durch Trockenphasen im Sommer müssen die Bäume in Rotterdam schon heute manchmal bewässert werden.
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Mainz. „Eigentlich wissen wir sehr viel darüber, was an Veränderung nötig wäre. Doch es passiert wenig bis nichts. Der Wandel kommt nur schleppend voran“, sagt Felix Ekardt, Nachhaltigkeitsforscher aus Berlin und Leipzig. Er erforscht, was Menschen und die Gesellschaft beim bedeutsamen Wandel zur CO2-neutralen Welt bremst und antreibt.

Von Julia Glöckner

Für viele Nachhaltigkeitsforscher ist klar: Die Bau-, Verkehrs- und Wärmewende sowie der Umstieg aufs klimaneutrale Wirtschaften bis 2045 ist allein durch neue Technik nicht zu schaffen. Geht man vom Fortschrittstempo in den vergangenen 150 Jahren aus, ist das unrealistisch – oder man muss an große Wunder glauben. Es ist unvereinbar, immer mehr Wohnraum pro Person zu beanspruchen, viel Auto zu fahren und Fleisch zu essen, hohes Wirtschaftswachstum zu erwarten – und gleichzeitig bis 2024 die Netto-Null beim CO2-Ausstoß zu erreichen.

Die Menschheit stehe am Abgrund, wenn man beim Thema Wasserversorgung und Bodendegradation oder Klimakatastrophen 50 bis 100 Jahre vorausblickt, sagt Ekardt.

Keine Kapitalismuskritik

Ekardts Erklärungsmodell ist keine Kapitalismuskritik. Der Kapitalismus ist nach wie vor die erstrebenswerteste Wirtschaftsform. Dennoch müssten wir unseren Lebensstil ändern, akzeptieren, dass wir in einer Post-Wachstumsgesellschaft mit geringerem Wirtschaftswachstum leben, sagt der Professor. Letztlich sei die klimaneutrale Welt günstiger, weil sie frei ist von Klimakriegen, -schäden und Umweltkatastrophen.

„Jeder könnte mehr tun“

Der hohe CO2-Ausstoß geht auf viele kleine, in ihrem Effekt scheinbar fast vernachlässigbare Handlungen zurück, die Menschen in Hightech-Ländern und Eliten in Schwellenländern Tag für Tag ausführen. Sie wählen ihre Alltagsmobilität, wohnen in großen Häusern, fliegen. Jeder könnte also die Klimawende massiv voranbringen, in der Summe in riesigen Schritten. Man könnte 6 Tage die Woche vegetarisch essen, das Haus dämmen, ins Stadtzentrum ziehen, statt draußen auf dem Land zu leben und das Auto zu nutzen oder weniger kaufen. Weil Wirtschaftsberater und Volkswirte raten, im Angebot auf die Nachfrage zu reagieren, ist klar: Menschen sollten anfangen bewusster zu konsumieren, auf Rad und Öffis umzusteigen, damit das Angebot etwa an Radwegen attraktiver werden kann. Lobbyverbände, Unternehmen, Politik könnten dann responsiv reagieren, statt am Status quo festzuhalten oder den Markt übers Angebot zu lenken versuchen, etwa durch attraktivere Radwege, was deutlich schwieriger ist. 

Hauptgründe für zähen Wandel

„Mehr Klimaschutz scheitert weniger an mangelndem Wissen als vielmehr an überkommenen Vorstellungen von Normalität, Gewohnheiten, Bequemlichkeit, Verdrängung“, erklärt Ekardt. Was als normal gilt, ist wandelbar, aber hat sich eingeschliffen. „Der Mensch orientiert sich an dem, was üblich ist, sei es durch Gruppendenken oder gesellschaftliche Konvention.“ Niemand will gern als Sonderling gelten, der nur noch Rad fährt, oder mit der Ehefrau in einer 50er Jahre Wohnung auf 45 Quadratmetern lebt. Die Eliten der Schwellenländer eifern nun dem nach, was bei den älteren Generationen noch als normal gilt, während viele aus der Generation Z schon klimabewusst leben. Diese lähmenden kulturell geprägten Normalitätsvorstellungen lenken unser Eigennutzdenken, wir haben also ein Alibi, trotz aller klimabewussten Werte wenig konsequent zu handeln. 

Eine große Rolle spielen laut Ekardt außerdem Neigungen oder Gefühle, also Gewohnheiten, Bequemlichkeit, Verdrängung oder der Wunsch nach Anerkennung. „Beobachtet wurde in Experimenten oft das Gefühl, dass man schon was tut und andere noch schlimmer sind“, erklärt er. Oder man fühlt die Vorteile der Autofahrt heute, während die noch Jahrzehnte entfernten Klimaschäden schwer fühlbar sind. Der eigene kleine Beitrag zum großen komplexen Wandel wird unterschätzt. Evolutionsbiologisch stecke außerdem die Mehrung des eigenen Besitzes in uns.

Ein wichtiger Grund sind außerdem frühere Entscheidungen von Lobby, Politik, Wirtschaft, Konsumenten, die neue Wahlmöglichkeiten einschränken – sogenannte Pfadabhängigkeiten. Wir fragen Güter auf bestimmte Weise nach, verwalten und regeln in einer bestimmten Form und sind etwa wirtschaftlich von der Kohlekraft so abhängig, dass sich der Ausstieg nur langsam vollziehen kann. Auch ist das intakte Klima ein Kollektivgut, das nur zusammen gerettet werden kann. „Die Folge, dass jeder, der sich beim Klimaschutz nicht auf den anderen verlassen kann, dass dieser Emissionen einspart, entmutigt wird, führt schließlich zur Übernutzung des Klima“, sagt der Forscher.

Multifaktorielles Geschehen

Am Wandel von Individuen und Gesellschaft sind viele Faktoren beteiligt. Für Ekardt spielen auch Wissen, Umweltbewusstseinsbildung in der Kindheit, Eigennutz durch Sicherheitsstreben, Profit, Macht, evolutionsbedingte Anlagen sowie liberale Werte wie Freiheit eine Rolle. All diese Faktoren seien auch wichtig, würden aber überschätzt

Werte von Individuen und Gruppen seien dagegen veränderbar. Sie könnten „Eigennutz und Eigeninteressen“ überlagern und die Klimawende vorantreiben. Per se sind sie laut Ekardt aber anderen Motivationsfaktoren nicht vorgelagert: Vielmehr konkurrieren sie mit Eigennutzkalkülen, Kollektivgutproblemen, Pfadabhängigkeiten, Gefühlen und Normalitätsvorstellungen. Und mit liberalen Werten wie „einer unumschränkten Selbstentfaltung, einem wirtschaftlich verengten Freiheitsverständnis sowie Fixierungen auf ein Pfad des unbegrenzten Wachstums und Fortschritts“. jg

Weitere Informationen:
Ekardt erforscht nicht nur die Nicht-Gelingensbedingungen für Wandel, sondern auch Wege seiner Ermöglichung und wie Menschen dabei glücklicher leben können. In einer August-Ausgabe gibt Professor Felix Ekardt Empfehlungen, wie der bedeutsame Wandel gelingen kann.

Autor:

Julia Glöckner aus Ludwigshafen

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