„Man bekommt unglaublich viel zurück“
Interview mit Stefan Mai, ehrenamtlicher Hospiz- und Sterbebegleiter

Stefan Mai  Foto: Walter

Landstuhl. Hospiz- und Sterbebegleiter nehmen eine ganz besondere Rolle ein, wenn es darum geht, sterbenden Menschen ein selbstbestimmtes und bewusstes Leben bis zum letzten Augenblick zu ermöglichen. Stefan Mai (ehrenamtlicher Hospiz- und Sterbebegleiter im Stationären Hospiz Hildegard Jonghaus Landstuhl und im Ambulanten Hospizdienst Westrich) hat mit dem Wochenblatt über seine Erfahrungen gesprochen.

Von Stephanie Walter

???: Es ist gar nicht einfach, ein solches Interview zu beginnen, daher möchte ich Sie zunächst fragen, wie Sie mit den Themen Hospiz- und Palliativarbeit in Berührung gekommen sind.

Mai: Meine Pflegemutter ist im Nardiniklinikum auf der Palliativstation verstorben und ich fand es bewegend, dass man sich so viel Zeit für die Patienten genommen und wirklich alles für sie gemacht hat. Ich hatte zunächst Angst vor der „Todesstation“. Heute sehe ich das aber ganz anders. Als das Hospiz in Landstuhl gebaut wurde, habe ich dann angefragt, ob es die Möglichkeit gibt, sich zu engagieren. Das hat am Anfang für Erstaunen gesorgt, weil ich ein Mann bin. (lacht)

???: Es engagieren sich also eher Frauen als Hospiz- und Sterbebegleiter?

Mai: Ja, das stimmt. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass klassische Männerthemen von den Gästen auch lieber mit einem Mann besprochen werden. Es gilt eben immer noch oft ein klassisches Rollenbild, bei dem der Mann Stärke zeigen muss und keine Gefühle zulassen darf.

???: Das Gefühl nimmt bei Ihrem Ehrenamt ja aber eine wichtige Stellung ein.

Mai: Absolut. Durch meine Tätigkeit habe ich auch gelernt, Emotionen zuzulassen und auch einmal zu weinen. Das hätte ich früher nie von mir gedacht.

???: Können Sie etwas genauer beschreiben, welche Aufgaben zu Ihrer Tätigkeit gehören?

Mai: Das kommt immer darauf an, was der Gast gerne möchte und braucht. Wenn ich im Hospiz bin, gehört meine Zeit ganz den Gästen und ihren Angehörigen. Zentral ist für mich die Herzlichkeit und dass ich alle Wünsche erfülle, die möglich sind. Wir führen sehr viele intensive Gespräche. Manchmal geht es auch um ganz alltägliche Dinge, wie Zeitunglesen oder einen Brief für einen Gast zu schreiben, der das nicht mehr selbst erledigen kann. Oft besorge ich auch etwas, das ein Gast gerne isst. Manchmal ist man aber auch einfach nur da, auch ohne Worte. Ein ehrenamtlicher Hospiz- und Sterbebegleiter nimmt generell eine ganz andere Rolle ein als ein Angehöriger.

???: Inwiefern?

Mai: Man vertraut mir oft Dinge an, die ein Sterbender einem Verwandten nicht sagen kann oder will, zum Beispiel, wenn ein Gast gerne gehen möchte, seine Familie aber nicht alleine lassen will. Wir sehen Dinge als Außenstehende auch viel objektiver und können die verschiedenen Sterbephasen wie Aggression, Vorwürfe oder eine verweigerte Akzeptanz der Situation anders schultern als ein Angehöriger.

???: Das bedeutet für Sie aber sicher eine große emotionale Belastung.

Mai: Natürlich muss man Einiges aushalten. Ich muss mir ja auch immer bewusst sein, dass ich heute vielleicht einen Menschen kennenlerne, der morgen nicht mehr da ist. Trotzdem bekommt man bei diesem Ehrenamt so unglaublich viel zurück. Die Erinnerungen bleiben immer im Herzen und oft geben mir Gäste für meinen weiteren Weg mehr mit als ich ihnen.

???: Bei einer solchen Tätigkeit ist es unheimlich wichtig, sich auch distanzieren zu können. Wie schaffen Sie es, diese Aufgabe zu schultern?

Mai: Zunächst ist es enorm wichtig, dass man seine eigenen Kraftquellen kennt. Nur, wenn ich auch selbst Kraft habe, kann ich diese an andere weitergeben. Außerdem versuche ich mich bewusst auf meine Aufgabe vorzubereiten und danach bewusst abzuschalten. Ich nutze dafür den Spaziergang zum Hospiz. Wenn ich dort das Klicken der Eingangstür höre, stelle ich mich auf meine Aufgabe ein, wenn ich gehe, lasse ich sie aber auch mit dem Klicken hinter mir. Beim Ambulanten Hospizdienst ist es natürlich viel schwieriger, sich zu distanzieren, wenn man die Familien direkt besucht.

???: Hat Sie Ihr Ehrenamt auch persönlich verändert?

Mai: Ja, auf jeden Fall. Ich nehme mein Leben jetzt viel intensiver wahr und genieße auch bewusster, sowohl kleine Dinge wie ein gutes Essen als auch die Zeit mit Menschen, die mir wichtig sind.

???: Was gefällt Ihnen an Ihrer Tätigkeit am besten?

Mai: Ich kann hier meine Kontakte und mein Organisationstalent ausspielen und für einen Menschen tun, was nötig ist und damit das Leben bis zuletzt lebenswert machen. Das bedeutet mir viel. Auch, dass ich Spontanität mitbringen, Menschen mitreißen und Gäste und ihre Familien zum Lachen bringen kann, ist mir sehr wichtig.

???: Sie sind ja aber nicht nur bei der Betreuung vor Ort, sondern nehmen auch Termine wahr, bei denen es um Öffentlichkeitsarbeit und die Information zur Hospiz- und Palliativbegleitung geht.

Mai: Ja, genau. Wir hatten zum Beispiel kürzlich vom Hospiz Hildegard Jonghaus, dem dazugehörigen Förderverein und dem Ambulanten Hospizdienst Westrich zum Welthospiztag einen Stand auf dem Wochenmarkt. Hier sind wir auf die Menschen zugegangen und ins Gespräch gekommen, wollten in lockerer Atmosphäre Angst nehmen vor dem Wort Tod.

???: Wie waren Ihre Erfahrungen an diesem Tag?

Mai: Wir haben ganz tolle, aber auch sehr emotionale Gespräche geführt. Manche haben Angst vor dem „Totenhaus“. Diese wollen wir nehmen. Oft sind die Menschen aber auch überrascht und finden es toll, dass es uns gibt. Ich würde mir für die Zukunft einfach wünschen, dass sich noch mehr Menschen für die ehrenamtliche Hospiz- und Sterbebegleitung öffnen, gerade auch Männer. Man muss einfach nur Mut haben und das Tabu brechen, denn jeder Mensch hat das Recht auf ein Sterben in Würde. Das können wir möglich machen und dabei so viel für uns selbst mitnehmen, viele berührende und schöne Momente und auch viel für ein bewussteres Leben.

Autor:

Stephanie Walter aus Wochenblatt Landstuhl

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