Wie unser Leben nach Corona aussehen könnte
Wird alles so wie früher, Stefan Wagner?

Stefan Wagner | Foto: privat

Speyer.  Was macht Corona mit unserer Gesellschaft? Rücken wir näher zusammen - oder spaltet uns die Pandemie? Ändert sich dauerhaft etwas - oder wird alles wieder so wie früher? Das "Wochenblatt" stellt diese Fragen Speyererinnen und Speyerern aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und fragt sie nach ihrer Einschätzung. Heute: Stefan Wagner von der Sozialen Anlaufstelle Speyer (SAS).

Ganz kurz ist zu Beginn der Pandemie auch in Stefan Wagner die Hoffnung aufgeflackert, es könnte sich was ändern in unserer Gesellschaft. Dass sich alle aufs Wesentliche besinnen, erkennen, woran unser Sozialsystem krankt, sehen, dass nicht alle die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben und dass es wichtig ist, sich solidarisch zu zeigen. Doch die Realität hat Wagner schnell wieder eingeholt. "Impfdebatte und Impfneid haben mir gezeigt: Nach wie vor ist jeder sich selbst der Nächste", so Wagner. Der Egoismus richte die Gesellschaft zugrunde. 

"Es gibt Armut in dieser wunderschönen Stadt"

Die Welt sei nach Corona keine bessere. Ganz im Gegenteil. Wagner macht das daran fest, wie mit den Schwächsten in der Gesellschaft umgegangen wird. "Wohnungslose sind im Impfplan vergessen worden - die Politik hat sie einfach nicht auf dem Radar. Bei der Priorisierung nicht und auch jetzt nicht", ist seine Erfahrung. Natürlich ist auch Speyer keine Insel der Glückseligen und dennoch macht es Wagner Mut, dass es solche "Oasen" gibt. "Wir haben hier in Speyer viele tolle Menschen, die unsere Projekte unterstützen", sagt er. Er ist froh, dass die SAS den Duschservice aufrecht erhalten konnte und auch darüber hinaus während der Pandemie Möglichkeiten gefunden wurde, den Gästen am ehemaligen Kiosk am Festplatz ein Angebot zu machen. Wagner: "Es geht um ein Mindestmaß an Würde." Wagner wird auch nach zwölf Jahren nicht müde, gebetsmühlenartig zu wiederholen: "Es gibt Armut in dieser wunderschönen Stadt - und sie kann jeden treffen."

"Corona war eine Riesenchance", sagt Wagner. Eben weil in der Krise klar hervorgetreten sei, woran es in der Gesellschaft krankt. Doch sie sei vergeben worden. Statt soziale Probleme mit Mut anzupacken, navigiere die Politik im Nebel und habe sich auf ein "Es wird schon irgendwie gehen" verständigt. Mit Sorge blickt er auf die Familien, die er gemeinsam mit anderen Ehrenamtlichen in den Notunterkünften der Stadt mit Lebensmitteln versorgt. Wo Familien auf engstem Raum und ohne digitale Endgeräte zusammen leben, seien Kinder während der Pandemie von der Bildung quasi abgeschnitten gewesen. "Ohne Bildung werden diese Kinder auch später keine Chance haben, sich einen gewissen Wohlstand zu erarbeiten", glaubt Wagner. Und kommt daher zu dem Schluss, dass sich die Situation für seine Klienten durch die Pandemie sogar noch deutlich verschlechtert hat. Corona habe wie ein "Brandbeschleuniger" gewirkt.

"Kommerz geht über Menschenleben"

Der Außenbereich der SAS hat wieder geöffnet - und im Gespräch mit den Gästen, darunter viele "Neuzugänge", erfährt Stefan Wagner vor allem eines: dass sie sich völlig unverstanden fühlen. Von der Politik. Von der Gesellschaft. "Unsere Gesellschaft muss dringend an ihren Werten arbeiten", sagt Wagner. "Und die Politik muss diese Werte vorleben." Er wünscht sich mehr soziale Gerechtigkeit - und ist zugleich enttäuscht davon, wie wenig Raum das Thema in der politischen Diskussion einnimmt - auch vor dem Hintergrund der Wahlen im September. Sein Eindruck: Kommerz geht über Menschenleben. Jüngstes Beispiel: Mehr als 60.000 Menschen im englischen Fußballstadion.

Nehmen wir irgend etwas Positives mit aus dieser Pandemie? "Corona hat mir persönlich gezeigt, dass es durchaus Menschen gibt, denen was an anderen liegt", sagt Wagner. Gleichzeitig hätten sich aber gesellschaftliche Probleme verschlimmert. Dabei gäbe es durchaus gute Hilfssysteme, die aber oft durch ein Übermaß an Bürokratie ausgebremst würden. Er ist sich sicher, dass ein guter Teil des Erfolges der SAS in der Anonymität liegt. "Wenn es am Monatsende eng wird, weil die Menschen in Kurzarbeit sind oder die Arbeitgeber die Pandemie nicht durchgestanden haben, dann laufen sie bei uns auf und holen sich ihren Notbedarf ab", ist die Erfahrung von Wagner. Und dass viele sich dafür schämen. Besonders traurig stimmt ihn, dass so viele Kinder von Armut betroffen und ohne Perspektive sind. Doch sein persönlicher Elan, etwas zu verändern, ist ungebrochen: "Ich habe den Glauben an das Gute in den Menschen nicht verloren."

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Autor:

Cornelia Bauer aus Speyer

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