Projektraum Kunstverein Wagenhalle e.V. Stuttgart
Eva Baumann ZEIT/GEIST

- Céline Papion (Cello). Fotos Jan Hottmann.
- Foto: Céline Papion (Cello). Fotos Jan Hottmann.
- hochgeladen von Franz Eichinger
Drei Jahre, drei Stücke, dreimal Zeitgeist: Mit tacet_ geht am letzten Maiwochenende die choreographische Trilogie ZEIT/GEIST zu Ende. Nach dem Figurentheater-Fokus der beiden ersten Teile alieNation (2023) und Nadezhda (2024) setzt Eva Baumann den Akzent diesmal auf die Musik und hat dazu die ebenfalls bevorzugt interdisziplinär arbeitende Cellistin Céline Papion mit ins Boot geholt.
Die vier Performerinnen Aurora Bonetti, Bar Gonen, Yen Lee und Susanna Ylikoski sowie die Musikerin suchen nach innerer Ruhe und zwischenmenschlicher Verbindung in einer lauten, zunehmend dystopischen Welt. Dass diese Mission nicht einfach, ja geradezu paradox ist, verrät sich bereits im Titel. Denn „tacet“, eine Form des lateinischen Worts für Schweigen, bezeichnet in der Musik die Pause, die Stille. Doch kann Kommunikation in der Lautlosigkeit überhaupt gelingen?
Dieser Frage spürt nicht nur das internationale tacet_-Ensemble nach. Die immersive Performance bezieht auch das Publikum mit ein. Eine entscheidende Rolle spielen in diesem Zusammenhang die beiden atmosphärischen Aufführungsorte, die als leere, hallige Werkräume ohne vorinstallierte Bühne dem Klang wie der Stille den nötigen Resonanzraum verschaffen. Die Uraufführung findet im Projektraum Kunstverein Wagenhalle e.V. statt, für die Wiederaufnahme Anfang September 2025 hat Eva Baumann eine brandneue, spannende Location aufgetan: HuMBASEpartout. Der Kulturort, der dank einer Projektförderung durch die Stadt Stuttgart kostenlos genutzt werden kann, wurde im Wettbewerb „Creative Spaces Region Stuttgart“ 2024 mit dem Sonderpreis Soziokultureller Impuls ausgezeichnet.
Uraufführung am Freitag, 30. Mai 2025 um 20:00 Uhr
weitere Aufführungen: Samstag, 31. Mai 2025 um 20:00 Uhr / Sonntag, 1. Juni 2025 um 19:00 Uhr
Projektraum Kunstverein Wagenhalle e.V., Innerer Nordbahnhof 1, 70191 Stuttgart
Wiederaufnahme am Samstag, 6. September 2025 & Sonntag, 7. September 2025
HuMBASEpartout, Eckartshaldenweg 7, 70191 Stuttgart
Konzept, künstlerische Leitung, Choreographie: Eva Baumann
Tanz, Performance, Co-Kreation: Aurora Bonetti, Bar Gonen, Yen Lee, Susanna Ylikoski
Musik, Performance, Cello, Co-Kreation: Céline Papion
Lichtdesign: Nadja Weber
Produktionsassistenz: Sophie Gisbertz
Raumkonzept, Kostümbild: Eva Baumann
Technik: Nadja Weber, Gui Votteler
Fotografie: Jan Hottmann
Graphik, Layout: HuM-collective
Musik plus Tanz ergibt … Stille. Auslöser und Inspiration für das Projekt unter der künstlerischen Leitung der Choreographin Eva Baumann ist das kollektive Erstarren, das uns angesichts der gegenwärtigen globalen Krisen erfasst hat. Es scheint im Widerspruch zu stehen zum atemlosen Tempo einer beschleunigten Gesellschaft, an das wir uns so gewöhnt haben. Gleichzeitig birgt der plötzliche Stillstand eine leise Hoffnung. Denn was wäre momentan wichtiger als innezuhalten, zu reflektieren und zuzuhören?
Künstlerischen Ausdruck verleiht dieser Utopie die immersive Musik-Tanz-Performance tacet_, konzipiert für ein internationales Ensemble aus vier Tänzerinnen und einer Cellistin. Das Wort „tacet“ wird in der Musiknotation verwendet und bedeutet „Schweigen“ für das Instrument oder die Gesangsstimme. Dem Lärm unserer Gegenwart setzt tacet_ fragile Zwischentöne entgegen und begibt sich auf die Suche nach einem Resonanzraum für Begegnung und Austausch.
Der performative Widerspruch zwischen Stille und Kommunikation, Tanz und Stillstand ist in Eva Baumanns Choreographie dabei immer schon mitgedacht. Dynamische, energiegeladene Szenen, bei denen die Darstellerinnen auch ihre Stimme einsetzen, wechseln sich ab mit eher meditativen, langsamen Momenten. Eine zweite Reflexionsebene entsteht durch die große expressive Bandbreite des Cellos. Die dritte – durch das Publikum. Denn miteinander kommunizieren, aufeinander achtgeben sollen eben nicht nur die Performerinnen. Auch die Zuschauer*innen sind aufgerufen, sich in ein Verhältnis zueinander zu setzen, inhaltlich wie räumlich. Letzteres wird begünstigt durch den „Bühnen“-Aufbau ohne traditionelle Bestuhlung. Das Publikum nimmt mitten im Raum auf Sitzkartons Platz und kann entsprechend über den oder die eigenen Blickwinkel entscheiden. Am Beginn der Vorstellung steht zudem ein partizipatives Element: Eine „Einstimmung“ („Tune-in“) zielt darauf, die Wahrnehmung der Zuschauer*innen aufzuschließen und sie für das Kommende zu sensibilisieren. Last but not least gibt es zwei weitere Akteure – die Aufführungsräume selbst. Die Kargheit und Nachhall-Effekte im Projektraum Kunstverein Wagenhalle e.V. sowie in der HuMBASEpartout machen sie zu wirksamen atmosphärisch-akustischen Verstärkern der Inszenierung.
Mit tacet_, das dem Paradox der Stille gewidmet ist, findet die konzeptgeförderte Trilogie ZEIT/GEIST ihren Abschluss. Die beiden ersten Teile beschäftigten sich mit der Entfremdung (alieNation oder: Strangers in a world that they themselves have made von 2023) und der Angst vor dem Verlust des Eigenen (Nadezhda von 2024).
tacet_ ist eine Produktion von Cie. ZEIT/GEIST – Eva Baumann.
Gefördert innerhalb der dreijährigen Konzeptförderung der Stadt Stuttgart, der Stiftung Erlebnis Kunst und der Freien Tanz- und Theaterszene Stuttgart (FTTS).
In Kooperation mit dem Projektraum des Kunstverein Wagenhalle e.V. und freundlicher Unterstützung durch das Produktionszentrum Tanz + Performance Stuttgart sowie der HuMBASEpartout Stuttgart.
Die Konzeption der Trilogie ZEIT/GEIST wurde 2021 von NPN/Joint Adventures im Programm Stepping Out gefördert. Dieses Programm wurde gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen der Initiative NEUSTART Kultur. Hilfsprogramm Tanz.
Besonderen Dank an das Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop, das Center for Deep Listening / Rensselaer Polytechnic Institute, New York, und an BLOMST! Stuttgart.
Autor:Franz Eichinger aus Wochenblatt Mannheim |
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