Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz
Baseballkappe statt Kippa

Marina Nikiforova ist die Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz. | Foto: privat
  • Marina Nikiforova ist die Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz.
  • Foto: privat
  • hochgeladen von Cornelia Bauer

Speyer. Im Jahr 321 erließ der römische Kaiser Konstantin ein Dekret, das es Juden ermöglichte, in Ämter der Kurie und der Stadtverwaltung berufen zu werden. Das heute im Vatikan konservierte Dokument ist ein Beleg dafür, dass Juden nachweislich seit mindestens 1.700 Jahren auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik leben. Aus diesem Anlass wird in diesem Jahr bundesweit ein deutsch-jüdisches Festjahr gefeiert. Schirmherr ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmaier. Zum Festjahr "1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" sprach Cornelia Bauer mit Marina Nikiforova, der Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz.

???: 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland – plant Ihre Gemeinde dazu Veranstaltungen?
Marina Nikiforova: Wir planen – wegen der Pandemie aber leider unter Vorbehalt. Am 24. Oktober soll es einen gemeinsamen Gottesdienst mit beiden christlichen Kirchen im Edith-Stein-Gymnasium geben. Wir würden während des Festjahres auch gerne einige besondere Konzerte unter Beteiligung des Chores unserer Gemeinde veranstalten, aber auch da steht derzeit alles unter Corona-Vorbehalt. Im Augenblick dürfen ja nicht einmal Chorproben stattfinden.

Auch unsere Gottesdienste finden derzeit nicht statt. Wir haben die Hoffnung, dass wir mit Besserung der Infektionszahlen vielleicht doch am 26. Februar den Gottesdienst zum Purimsfest feiern und vielleicht sogar die traditionellen Hamantaschen essen dürfen.(Anm. d. Red.: Purim ist ein Fest, das an die Rettung des jüdischen Volkes vor drohender Gefahr in der persischen Diaspora erinnert. Der Gottesdienst aus diesem Anlass erinnert ein bisschen an die Fasnacht: Der ganze Ablauf zielt auf Freude. Und immer, wenn der Name Haman fällt, wird von den anwesenden Kindern mit Tuten, Rasseln und Ratschen so viel Lärm als möglich gemacht). Insgesamt glaube ich, dass die Pandemie die Feiern zu diesem Festjahr erschweren wird.

???: Wie viele Mitglieder hat die jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz?
Marina Nikiforova: Zu unserer Gemeinde zählen 572 Mitglieder in der ganzen Pfalz. In Speyer gibt es seit dem 9. November 2011 die Synagoge Beith-Schalom – Haus des Friedens. In Ludwigshafen und in Kaiserslautern haben wir Gemeindehäuser, wobei wir das in Kaiserslautern seit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle nicht nutzen können. Es gibt dort keinen Notausgang, daher hat man uns zur Auflage gemacht, das Gebäude umzubauen. Die Baugenehmigung liegt jetzt vor, allerdings hat der Architekt darin noch Fehler entdeckt. Wir hoffen trotzdem, dass wir bis Jahresende mit dem Umbau fertig werden und das Gemeindehaus wieder in vollem Umfang nutzen können.

???: Wie fühlt sich jüdisches Leben in Deutschland heute an? 
Marina Nikiforova: In unseren Gemeindehäusern feiern wir Gottesdienste, halten Chorproben ab, erteilen Religionsunterricht, veranstalten Deutsch- und Hebräischkurse. Außerdem finden Kinder- und Jugendclubs statt. In jedem Gemeindehaus halten außerdem Sozialarbeiter Sprechstunden ab. Wir sind eine enge Gemeinschaft, die sich umeinander kümmert. Viele unserer Mitglieder sind fortgeschrittenen Alters und wir helfen ihnen auch bei Behördenbriefen oder begleiten sie zum Arzt. Das ist das eigentliche jüdische Leben in der Region. Das, das gerade coronabedingt ruht. Aber es ist ein gutes jüdisches Leben in all unseren Gemeindehäusern.

Wie fühlt es sich an, als Juden in Deutschland zu leben? Seit dem Anschlag von Halle ist die Polizeipräsenz riesengroß: bei unseren Gottesdiensten, aber auch bei Sprechstunden im Büro. Das war am Anfang schwierig, vor allem einige unserer älteren Mitglieder fühlten sich damit sehr unwohl, inzwischen haben wir uns aber alle daran gewöhnt.

Es gab in der Region keine „großen“ antisemitischen Vorfälle, aber in „Kleinigkeiten“ werden wir in unserem Alltag immer wieder mit Antisemitismus konfrontiert. Einem unserer jugendlichen Ludwigshafener Mitglieder wurde von einer Frau die Kippa vom Kopf gerissen und auf den Boden geworfen; danach ist sie weggelaufen. Ein Mann kam vor ein paar Monaten weinend zu uns in die Synagoge und hat uns erzählt, dass er mit der Kippa im Supermarkt in Dudenhofen war und ein älterer Deutscher ihn eine "Judensau" genannt hat. Immer mehr Männer tragen Baseballkappen statt Kippa - um weniger aufzufallen. Während des Gottesdienstes wollte uns jemand die Zedaka – den Spendenkasten – klauen. Der Dieb hat sich mit einer Plastikkarte Zugang zur Synagoge verschafft. Nachdem er gefasst wurde, hat er sich antisemitisch geäußert. Ob Antisemitismus wirklich der Anlass für den versuchten Diebstahl war? Das weiß ich auch nicht in dem Fall, in dem drei Brüder Steine gegen die Glastür der Synagoge geworfen haben. Sie waren anschließend mit ihrer Mutter hier und haben sich entschuldigt. Meine Tochter hat während ihrer Schulzeit Anfeindungen von einem Klassenkameraden erfahren. Das war in der Oberstufe des Gymnasiums. Zusammenfassend muss man sagen, dass die Feindseligkeit meist aus den Familien kommt. Sorge macht mir vor allem der Hass gegen Israel, mit dem manche Muslime aufgewachsen sind. Ich würde mir wünschen, dass man ohne Angst mit der Kippa vor die Tür gehen kann.

???: Was kann das Festjahr für den Dialog zwischen den Religionen leisten?
Marina Nikiforova: Ich hoffe, dass das Festjahr uns einander näher bringen kann. Es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten der Religionen, die gilt es herauszustellen.

???: Wie groß ist das Interesse von außen an jüdischen Traditionen?
Marina Nikiforova: Sehr groß. Wir haben hier ständig Führungen mit Gruppen aus ganz Deutschland. Aus der näheren Umgebung kommen viele Schulklassen zu uns. Wir führen ein offenes Haus. Zu den jüdischen Feiertagen darf jeder zu uns in die Synagoge kommen.

Kampagne betont gemeinsame Wurzeln
Autor:

Cornelia Bauer aus Speyer

Cornelia Bauer auf Facebook
Cornelia Bauer auf X (vormals Twitter)
following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

78 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

RatgeberAnzeige
Körperliche Aktivität während und nach einer Krebstherapie hat einen positiven Einfluss auf die Heilung | Foto: karrastock/stock.adobe.com
4 Bilder

Rehabilitationssport nach einer Krebstherapie ist gut für Körper und Seele

Rehasport nach Krebs. Körperliche Aktivität während und nach einer Krebstherapie hat einen positiven Einfluss auf die Heilung. Das belegen mehrere internationale Studien. Dass dafür ein moderates Training völlig ausreicht, haben Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum und der Harvard-Universität jüngst herausgefunden. Bereits wenige Stunden körperlicher Aktivität helfen, die Überlebenschancen deutlich zu verbessern. Tanz- und Bewegungstherapeutin Tanja Leiser hat eine...

Wirtschaft & HandelAnzeige
Fensterbau Speyer: Fenster sind nicht nur ein wichtiges Gestaltungselement, die richtigen Fenster sparen auch Heizkosten und sorgen für mehr Sicherheit - Beratung gibt's beim Fensterbauer im Meisterbetrieb Piller in Speyer | Foto: Wirestock/stock.adobe.com
3 Bilder

Fensterbau Speyer: Alte Fenster lassen kostbare Energie nach außen entweichen

Fensterbau Speyer. Fenster sind viel mehr als bloße funktionstechnische Einrichtungen und Fassadenöffnungen. In ihnen offenbart sich ebenso wie in Türen und Rollladen der Charakter eines Hauses. "Fenster sind die Augen der Häuser." Das hat der französische Schriftsteller Jules Amédée Barbey d’Aurevilly bereits im 19. Jahrhundert festgestellt.  Um dieses charakterbildende Element kümmert man sich seit mehr als 30 Jahren bei der Piller GmbH in Speyer in Rheinland-Pfalz. Unterschiedliche...

RatgeberAnzeige
Physiotherapie für Kinder: Bereits die Allerkleinsten profitieren von einer Behandlung, damit sie später im Leben keine Fehlstellungen oder Bewegungsstörungen bekommen | Foto: Therapiezentrum Theraneos
3 Bilder

Physiotherapie für Säuglinge, Kinder und Jugendliche in Speyer

Physiotherapie für Kinder. Auch Säuglinge müssen manchmal zur Therapie, damit sie später im Leben keine Fehlstellungen oder Bewegungsstörungen bekommen. Es gibt spezifische motorische Meilensteine; sind diese verzögert, kann eine Behandlung erforderlich sein. Physiotherapie für Kinder ist eine Therapieform, die sich auf die Förderung der Bewegungsfähigkeiten des Kindes bezieht. Der Schwerpunkt der Behandlung liegt auf der körperlichen Entwicklungsförderung und dem Ausgleich von eingeschränkten...

RatgeberAnzeige
Im Friedwald Dudenhofen gibt es unterschiedliche Baumgräber für verschiedene Bedürfnisse: für Familien oder Freundeskreise, für Partner, aber auch für alleinstehende Menschen. | Foto: Trauerhilfe Göck/isaworks
5 Bilder

Friedwald Dudenhofen: Die alternative Bestattung inmitten der Natur

Friedwald Dudenhofen. Wer sich schon zu Lebzeiten im Wald wohl fühlt, der möchte dort vielleicht auch seine letzte Ruhestätte finden. Individuelle Bestattungen im Wald sind eine immer beliebter werdende Alternative zum Grab auf einem konventionellen Friedhof. Auch in Rheinland-Pfalz. Die Asche des Verstorbenen ruht in biologisch abbaubaren Urnen an den Wurzeln eines Baumes, inmitten der Natur. Das ist auf der einen Seite idyllisch, auf der anderen praktisch: Die Natur übernimmt die Grabpflege....

Wirtschaft & HandelAnzeige
Freude in Form von Weck und "Worschd" brachte das Team auch zu den Menschen bei der Tafel in Speyer | Foto: Mein Pflegeteam Hochdörffer
7 Bilder

Mein Tag: Unerwartet frei, um anderen eine Freude zu bereiten

Mein Tag. Die Aktion hat sich verselbständigt und ist zu einer richtigen Erfolgsgeschichte geworden. Mehr noch als Sabrina und Jürgen Hochdörffer von "Mein Pflegeteam" in Speyer das vorhergesehen haben, als sie "Mein Tag" als Zeichen der Wertschätzung für ihre Mitarbeiter in ihrem Team ins Leben gerufen haben. Doch was ist das überhaupt, "Mein Tag"? Einmal im Jahr wird jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter bei "Mein Pflegeteam" überrascht: Morgens kommt er oder sie ganz normal zum Dienst und...

Wirtschaft & HandelAnzeige
Küche & Co in Speyer verwirklicht Küchenträume. | Foto: Küche & Co Speyer

Küche & Co Speyer: Eine Küche fürs Leben

Speyer. Das Küchenstudio Küche & Co in Speyer möchte seinen Kunden Küchen fürs Leben realisieren: Küchen, in denen man sich wohl fühlt, die zu einem passen und denen man lange treu bleibt. Entsprechend anspruchsvoll dürfen die Kunden sein, die sich von Inhaber Hans-Jürgen Dolezal und seinem Team ihre neue Küche verwirklichen lassen. Welches Design? Die Küche muss zu den Kunden passen: Welches Design wird bevorzugt? Eine moderne Küche, eine Designküche, eine Landhausküche oder doch lieber eine...

Online-Prospekte in Speyer und Umgebung



add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.