Neues Krisenmodell von Karlsruher Wissenschaftlern für den Profifußball
- Die Wahrheit einer Mannschaft liegt auf dem Platz – doch die von Forschenden des KIT entwickelte Modellierung kann helfen, sie früh und differenziert zu erfassen.
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Karlsruhe. Wann steckt ein Fußballteam wirklich in der Krise – und wann ist ein Wechsel von Trainerin oder Trainer nur eine überhastete Reaktion? In einer veröffentlichten Studie haben Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) ein System entwickelt, das Krisen im Profifußball objektiv messbar macht. Drei aus der Praxis abgeleitete Krisenindikatoren erlauben es, den Leistungsstand von Mannschaften präzise zu erfassen und kritische Phasen frühzeitig zu erkennen.
Mathematische Modelle
In ihrer Studie demonstrieren die Forschenden des KIT, wie sich emotionale und mentale Prozesse im Sport mit mathematischen Modellen abbilden lassen. Die Mathematik dient hierbei als ein Instrument, das Teamdynamiken greifbar macht. „Wir wollten verstehen, wann und warum eine Mannschaft in eine Krise gerät und wie sich solche Phasen anhand objektiver Daten vorhersagen lassen“, so Professor Darko Jekauc, Sportpsychologe am Institut für Sport und Sportwissenschaft (IFSS) des KIT und Leiter der Studie. „Unsere Indizes übersetzen Erwartungen und tatsächliche Ergebnisse in mathematische Kennzahlen, die psychologische Prozesse wie Stimmungslage, Selbstvertrauen und Leistungsdynamik widerspiegeln.“
Das Forschungsteam analysierte die Spiele der Bundesliga-Saison 2023/2024 und entwickelte drei Kennzahlen:
- Die „Relative Position“ (RP) misst die Abweichung vom erwarteten Tabellenplatz, basierend auf Marktwert und Vorjahresleistung.
- Die „Linear Rate of Change“ (LRC) zeigt langfristige Trends von Über- oder Unterperformance.
- Die „Exponential Rate of Change“ (ERC) erfasst kurzfristige Leistungsschwankungen und gibt Aufschluss über das psychologische Momentum einer Mannschaft.
Besonders der ERC-Wert erwies sich für die Forschenden als wertvoller Frühindikator: In nahezu allen Fällen sank der Wert deutlich, kurz bevor Trainerinnen oder Trainer entlassen wurden. „Ein plötzlicher Einbruch des ERC spiegelt einen Verlust von Energie und kollektiver Überzeugung wider. In genau so einem Moment kippt die Dynamik und aus Verunsicherung wird eine Krise“, so Jekauc.
Krisenprävention mithilfe des Goldenen Schnitts
Der Krisenindikator ERC basiert auf der Zahl "Phi", dem sogenannten Goldenen Schnitt. Dieses klassische Konzept findet Anwendung in Mathematik, Kunst und Architektur ebenso wie in den Naturwissenschaften – etwa bei der Beschreibung der Dynamik schwarzer Löcher oder bei der Modellierung von Populationsentwicklungen. Nun macht die Studie auf Parallelen in psychologischen Prozessen aufmerksam.
Die neuen Krisenindikatoren eröffnen vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. Vereine könnten sie nutzen, um Leistungsentwicklungen im Saisonverlauf zu überwachen und frühzeitig auf drohende Einbrüche zu reagieren. Sie ermöglichten datenbasierte Entscheidungen zu Training, Teamführung und Kommunikation. Für Sportpsychologinnen und Sportpsychologen könnten sie ein Werkzeug sein, um mentale Stärke und Teamresilienz gezielt zu fördern und den Verlauf einer Krise wissenschaftlich zu begleiten. „Unser Ziel ist es nicht, den Fußball zu entemotionalisieren“, betont Sportpsychologe Jekauc. „Aber wir möchten zeigen, dass auch Leidenschaft, Druck und Selbstvertrauen mathematische Muster hinterlassen. Wenn wir diese Muster verstehen, können wir Krisen nicht nur erkennen, sondern auch verhindern.“
Infos: Ergebnisse in "German Journal of Exercise and Sport Research", https://link.springer.com/article/10.1007/s12662-025-01078-1 und https://fussballkrisen.de/
Autor:Jo Wagner |
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