Streuobstpädagogin Susanne Harrass im „Wochenblatt“-Interview
„Kinder sollen lernen, die Natur zu schätzen“

Streuobstpädagogin Susanne Harrass | Foto: privat
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Huttenheim. Susanne Harrass war lange die einzige Streuobstpädagogin im Landkreis. 2011 hat sie ihre Ausbildung begonnen, im darauffolgenden Jahr ihre Prüfung abgelegt. Inzwischen arbeitet sie selbst an der Ausbildung weiterer Streuobstpädagogen mit. Im Rahmen der „Wochenblatt“-Serie Apfelland sprach Cornelia Bauer mit der ersten Streuobstpädagogin der Region.

???: Wie kommt man denn auf die Idee, Streuobstpädagogin zu werden?
Susanne Harrass: Da muss ich ein bisschen weiter ausholen. Wir wohnen hier in einem ländlichen Gebiet, in dem die Kinder naturnah aufwachsen. Als mein Sohn im Kindergarten war, hab ich einen Erntedankkorb gerichtet - und keines der Kinder hat die Karotte erkannt. Damals habe ich mit Schulgartenprojekten begonnen.

„Ressourcen vor unserer Haustür“

Ich finde es wichtig, die Menschen aufmerksam zu machen auf die Ressourcen vor unserer Haustür. Den Nebenerwerbs-Landwirt gibt es kaum noch, Nutzgärten werden seltener; selbst hier bei uns auf dem Land haben die Menschen kaum noch einen Zugang zum Produkt. Ich versuche, diese Lücke zu schließen.
Über die Kinder kommt man in die Familien - ein schöner Weg finde ich. Und als ich von der Ausbildung zum Streuobstpädagogen in Böblingen gehört habe, wusste ich, dass ich das machen will. Dieses Jahr findet die erste Ausbildung von 25 künftigen Streuobstpädagogen bei uns im Landkreis statt.

???: Was macht eine Streuobstpädagogin?
Harrass: Es gibt insgesamt zwölf thematische Einheiten. Auf Einladung der Schulen komme ich in die Klassen und zeige alle Facetten rund um die Streuobstwiese auf.

Kindern Erlebnisse in der Natur bieten

Meist sind die Kinder zwischen neun und zwölf Jahre alt. Das ist ein gutes Alter, denn sie sind meist wissbegierig, aber noch nicht „zu cool“ für Erlebnisse in der Natur. Die erste Herausforderung ist meist schon der Weg zur Obstwiese. Viele Kinder wissen gar nicht, wie weit sie laufen können. Je nach Jahreszeit geht es dann etwa um Baumschnitt oder um die Suche nach Tierspuren. Natürlich sollen die Kinder nicht alle Obstbauern werden, aber sie sollen lernen, die Natur zu schätzen.

Wir sind in Baden-Württemberg in der Pflicht, die Streuobstwiesen zu schützen. Die Streuobstwiese ist ein ganz wunderbares Beispiel für einen Generationenvertrag: Die eine Generation pflanzt, was die nächste Generation ernten darf. Nur konnten vor einer Generation auch noch alle einen Birnenbaum von einem Apfelbaum unterscheiden - auch, wenn gerade keine Früchte dran hängen.

???: Das heißt, sie fangen bei Null an?
Harrass: Es geht um mehr, als um die reine Vermittlung von Wissen über die Obstwiese. Ich habe heute viel mehr als früher mit Kindern zu tun, die die Welt nur noch in digitaler Form wahrnehmen. Die Motorik hat abgebaut, viele Kinder haben Probleme, in unebenem Gelände zu laufen, ohne zu stolpern. Viele Kinder sind sehr ängstlich. Fast keines der Kinder weiß mehr, wie man auf einen Baum klettert. Und sie erwarten auf der Obstwiese schon auch, auf Tiger oder Krokodile zu treffen. Früher musste man in einer Doppelstunde zehn Minuten auf Sozialkompetenz verwenden, heute sprengt einem dieses Thema auch schon mal einen kompletten Kurs.

???: Das klingt nach einer Herausforderung.
Harrass: Man braucht nicht alleine das Wissen rund um die Streuobstwiese, sondern muss es auch altersgerecht vermitteln können. Und man braucht auch erzieherische Kompetenzen. Nicht zuletzt soll auch der Spaßfaktor nicht zu kurz kommen. Das ist eine große Herausforderung, macht es aber auch so spannend.

???: Warum ist es so wichtig, bereits Kindern den Wert der Streuobstwiese zu vermitteln?
Harrass: Die traditionelle Pflege der Streuobstwiese ist körperlich anstrengend und zahlt sich rein durch den Verkauf der Äpfel meist nicht aus. „Für das Geld bücke ich mich nicht mehr“, ist oft die Konsequenz.

„Ein Apfel darf auch Makel haben“

Mir ist es wichtig, in den Kindern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie lange ein Baum braucht, um Äpfel hervorzubringen und welche Arbeiten dafür nötig sind. Und dass an Bäumen eben nicht unbedingt der gewachste Supermarktapfel wächst, sondern dass ein Apfel auch einen Makel haben darf. Frage eines Kindes, die schon fast symptomatisch ist für den verloren gegangenen Bezug zur Natur: Wie baut man eigentlich einen Apfel?

???: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Harrass: Kinder sollten wieder mehr entdecken und spielen dürfen, einfach mehr Freiräume haben, auch in der Natur. Es ist wichtig, auch mal zehn Minuten auf dem Boden sitzen und einer Ameise zugucken zu dürfen. Ich wünsche mir, dass es mir gelingt, in jedes Kind etwas einzupflanzen, so dass es auch in Zukunft noch Streuobstwiesen geben wird. Ich habe in 18 Jahren so viele potenzielle Nachfolger unterrichtet, ich finde, das ist mehr Wert als jeder tatsächliche Baum, den ich gepflanzt habe.

Autor:

Cornelia Bauer aus Speyer

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