Stadtentwicklung: Mutige Entscheidungen bei Transformation von Industriestädten

Das freiwerdende Areal um die Kohl-Alle wurde nie entwickelt, was entlang einer Hochstraße als herausfordernd erschien. Die ebenerdige Kohl-Alle birgt Potenziale für die Attraktivierung von Hemshof und Innenstadt.  | Foto: Julia Glöckner
  • Das freiwerdende Areal um die Kohl-Alle wurde nie entwickelt, was entlang einer Hochstraße als herausfordernd erschien. Die ebenerdige Kohl-Alle birgt Potenziale für die Attraktivierung von Hemshof und Innenstadt.
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Ludwigshafen. Alexander Thewalt und Manuel Steinbrenner, Dezernenten der Städte Ludwigshafen und Kaiserslautern, sprachen im Zentrum für Baukultur zum Thema, welche mutigen Entscheidungen in ihren Städten beim Thema Stadtentwicklung zuletzt fielen.

Zur Finissage der Ausstellung über der Modellstadt Groningen, die zeigt, welche mutigen Schritte die niederländische Stadt ging und dass sich der Blick über den Tellerrand für andere Städte lohnt, gab auch der Ausstellungskurator Matthias Rottmann Impulse für Ludwigshafen und Kaiserslautern.

In Groningen waren einige Erfolgsfaktoren am Wandel hin zu einer klimaresilienten, sozialen Stadt beteiligt. „Dabei waren mutige Entscheidungen wesentlich“, sagte Klaus-Dieter Aichele beim Grußwort. „Mit Blick auf Demografie und Klima stehen Planer, Politik, Bürger auch in anderen Städten vor herausfordernden Entscheidungen. Diese stellen Bestehendes in Frage, initiieren Veränderungen, die bei einzelnen zu Widerspruch und Widerständen führen können. Veränderungen können fordernd, anstrengend sein, Mut hat demnach auch mit Zumutung zu tun.“

Einerseits kommen solche kreativen Entscheidungen durch Ideen aus der Bürgerschaft zustande, abseits des Mainstreams und ausgetretener Pfade. Andererseits gründen sie auf klar definierten Zielen der Dezernenten, auf klaren Entscheidungen zwischen unzähligen städtebaulichen Wahlmöglichkeiten.   

Impulse aus Ludwigshafen: „Mut zeigt sich beim Thema Parken“

„Im Bauingenieursstudium vertiefte ich auch das Thema Verkehrsplanung mit dem Ziel eine Grundlage zu schaffen, um alle dazu zu bringen, Rad zu fahren“, erzählte der passionierte Radfahrer Alexander Thewalt. Nach dem Berufseinstieg in den frühen 90ern habe sich gezeigt: Das Radfahren interessierte in der Verwaltung niemanden. „Gutachten wurden ignoriert, mit dem Hinweis, dass das woanders zutreffen mag, aber bei uns alles anders ist.“

Nach 15 Jahren in einer Baufirma übernahm Thewalt das Dezernat in Heidelberg. „Die Fridays for Future Bewegung, die seit 2015 überschwappte auf Teile der Gesellschaft und zu einer immer größeren Bewegung wurde, hat meinen Ehrgeiz erneut entfacht. Ich wollte, dass es vorangeht. Leider ist die Bewegung heute abgeflacht, wie sich am Bundestagswahlergebnis zeigte“, sagte Thewalt.

Mut bei der Entwicklung zur klimaneutralen Stadt zeigt sich für ihn bei Thema Parken. „Parken ist ein Lebensrecht nach Grundgesetz Artikel 1B“, sagte Thewalt mit beißendem Humor. „Jeder braucht einen Parkplatz und der darf nichts kosten.“

Auf einen einstimmigen Ratsbeschluss hin erhöhte die Stadtverwaltung 2023 die Parkgebühren auf einen Euro für 20 Minuten in der Innenstadt, in anderen Stadtteilen auf 50 Cent für 20 Minuten. Auch der Parkausweiskosten stiegen von 30 auf 180 Euro. Bund und Land hatten im Jahr 2022 Kommunen die Preisanpassung beim Parkausweis ermöglicht. Viele Städte schlugen auf. Mainz hat bis heute die Abstufung nach Fahrzeuggröße.

Mut zeigen bei der Innenstadtentwicklung

Ludwigshafen hat die typische Struktur einer Industriestadt in Innenstadt, Hemshof und Friesenheim. Auf dieser Grundlage eine nachhaltige, klimaresiliente Stadt zu entwickeln, ist viel herausfordernder als etwa in alten Barockstädten.

Wie vielerorts ist Einkaufen in der Innenstadt ein viel weniger großes Thema als noch vor 15 Jahren. „Das Kulturangebot wächst dagegen“, erklärte Thewalt. „In der ehemaligen Fußgängerzone dominiert das Wohnen. Dort haben wir ein Leben wie in Städten im Süden. Kinder spielen dort am Abend. Menschen treffen sich. Das typische Innenstadtbild zeigt die Fußgängerzone allerdings nicht mehr.“

„Ob es mutig war, mitten in der Stadt ein Einkaufszentrum zu bauen, das andere Städte am Stadtrand planen, gilt als umstritten“, so Thewalt. „Es hat die Frequenz wie ursprünglich geplant. Dafür ist die Fußgängerzone uninteressant geworden.“

Das Einkaufen wird überall in den Citys ein immer seltenerer Grund für den Besuch. Kultur, Freizeit, Sport werden dagegen immer wichtiger. Ludwigshafen sei anderen Städte voraus, der Theatersaal sei gefüllt, die Stadtbibliothek zum Treffpunkt für junge Leute geworden. Ludwigshafen ist der größte Schulstandort in der Region, was junge Menschen nach Ludwigshafen bringt.

Die migrantischen Meilen, die derzeit überall entstehen, bringen Städten auch Vorteile. Berühmte Beispiele sind die Sonnenallee in Berlin oder die Wolkenstraße in Augsburg. Sie sorgen für Gewerbesteuerreinnahmen, Nahversorgung auch für ältere Einheimische, Arbeitsplätze für Migranten aus der Community und Hilfen für Neuankömmlinge. Sie entstehen dort, wo Einheimische ihren Leerstände längst aufgegeben hatten. Lebensmittel aus dem Ausland kann man nicht im Netz bestellen. Somit schützen sie Städte auch vor Leerstand. 

Integriertes Innenstadtentwicklungskonzept (ISEK)

ISEK soll trotz klammer Kasse machbar sein. „Alle Maßnahmen nach ISEK lassen sich zu 90 Prozent aus Landesförderung finanzieren. Die verbleibenden 10 Prozent Eigenmittel dürfen wir aufbringen, trotz nicht-ausgeglichenem Haushalt“, erklärte Thewalt. Das sei eine große Sache, den in Zeiten nicht-ausgeglichener Haushalte werden viele Projekte auf die lange Bank geschoben, weil der 10 Prozent Eigenanteil nicht ausgegeben werden darf.

Nach ISEK wird sich das Gesicht der Innenstadt in den nächsten 10 Jahren stark wandeln. Die Kohl-Allee wird ähnlich zur Rheinallee mit Bäumen stark verschattet, genauso wie die Bismarckstraße. Diese wird zum verkehrsberuhigten Nachbarschaftsboulevard. Überall dort entstehen attraktive Innenstadtzentren, wie auch am Bismarckplatz. Die Kohl-Allee ist als öffentlicher Raum für Menschen, mit breiten Grünstreifen, Bürgersteigen, Radspuren sowie Gastronomie in den EGs der Blockbauten geplant. Sie wird keine funktionale Straße zum Durchbrummen.

„Karl-Kornmann-Platz, Theatervorplatz, Hans-Klüber-Platz sowie Bürgerhof werden entsiegelt und mit Bäumen verschattet“, sagte Thewalt. Aus dem Förderprogramm (KIPKI) für ISEK stehen 10,5 Millionen Euro bereit. Die Entsiegelung der Plätze soll bis Ende 2026 erfolgen.

Nach dem Konzept der autoarmen Innenstadt sollen rund um die verkehrsberuhigten Boulevards Ludwig- und Bismarckstraße begrünte Superblocks entstehen, ohne Durchgangsverkehr, angelehnt an die Stadt Barcelona. Dort ist nur noch Radfahren erlaubt. Auch das sei eine mutige Geschichte, so Thewalt. Blöcke in der Innenstadt sollen aufgewertet werden, man will für eine soziale Durchmischung sorgen. Auch sollen sich weitere Bildungseinrichtungen in der City ansiedeln. Das Rheinufer erhält weitere Zugänge und wird noch schöner gestaltet. Der Hauptbahnhofvorplatz bekommt ein neues Gesicht, der Bahnhof wird besser angebunden. 

Potenziale bei Wärmewende

Neben der Fernwärme aus Müllverbrennung könnte bald Fernwärme aus Abwärme von BASF bereitstehen. „80 Prozent des Abwassers aus der Stadt kommt aus dem BASF-Werk“, erklärte Thewalt. „Es fließt mit über 20 Grad in den Rhein, was Riesenpotenziale birgt. Macht man diese Abwärme nutzbar, können wir 14.000 Haushalte versorgen. Außerdem läuft bereits ein Geothermieprojekt gemeinsam mit BASF. Der Chemiekonzern will auf Erneuerbare umsteigen.“ Würden sich die Gasnetze stilllegen und die Rohe entfernen lassen, schaffe das Fläche, um zu entsiegeln.

„Krise kann wach machen“

„Ich glaube an das reinigende Moment der Krise“, sagte Ausstellungskurator Rottmann. Auch die ehemalige Industriestadt Rotterdam, die jahrzehntelang im Dornröschenschlaf war und ein starkes industrielle Erbe durch viele nicht angebundene Arbeiterquartieren mit sich herumtrug, hat es geschafft. Sie nutzte alle Potenziale des Strukturwandels: Die Abwärme aus der Industrie, die freien Flächen, die optimale Anbindung des Wirtschaftsraums an andere Städte über den Rhein. Und das in einem Moment, als Amsterdam durch die Lehman Krise stark getroffen wurde, der Immobilienmarkt dort kollabierte und das Leben vergleichsweise teurer wurde.

„Rotterdam machte Angebote an Künstler, Firmen, Universitäten. So ähnlich wie Berlin, nach dem Motto: Wir sind arm, aber sexy“, erzählte Rottmann. Daneben investierte die Stadt in neue Brücken, neue Architekturikonen und schloss Mietverträge für weitere Transformationsprozesse, die allmählich in Gang kamen. In wenigen Jahren wurde Rotterdam zu einer komplett anderen Stadt. Strukturwandel kann schnell gehen. Es braucht Glück, günstige Rahmenbedingungen und eine aktive Stadtgesellschaft.“

Eine Stadt, die junge Generationen zwischen 20 und 45 anzieht, mit ihren vielen Lebensentwürfen, kann sich schnell wandeln. Diese Menschen erkennen viele Räume, um ihr Leben selbst zu erschaffen. Toleranz und Offenheit, wie sie in den ehemaligen Industriehochburgen der Pfalz, allein schon durch die Migration durch Gastarbeiter vorherrschen, gelten als weiche Standortfaktoren im Wettstreit um Zuzug kreativer Milieus. Auch der Jungbusch hat sich gemausert. Das kann mit den richtigen Ideen auch in Ludwigshafen gelingen. jg

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Autor:

Julia Glöckner aus Ludwigshafen

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