Kassensystem statt Kathedralen
Warum die geplante GEMA‑Reform ein kulturpolitisches Verbrechen ist

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Wenn eine Verwertungsgesellschaft ihre eigene Geschichte vergessen will, nennt sie die Abrissbirne „Modernisierung“. Genau das geschieht, wenn die GEMA auf ihrer Mitgliederversammlung im Mai beschließen lässt, die Trennung von Ernster Musik und Unterhaltung abzuschaffen, weil „die Vielfalt des heutigen Musikschaffens“ das angeblich erfordere. Hinter der blendenden Rhetorik von Transparenz und Chancengleichheit steckt eine einfache Operation: Der bisherige Werk‑Bonus der Kunstmusik verschwindet, an seine Stelle tritt ein blankes Inkasso‑Prinzip – wer viel Publikum bezahlt, kassiert viel Geld, alle anderen das Krümelgeld der Abendkasse. Das ist kein Fortschritt, es ist die Rückverwandlung einer Solidargemeinschaft in einen reinen Zahlstellenautomaten.
Ein Blick auf die Modellrechnungen zerreißt jede Illusion: Komponistinnen und Komponisten der zeitgenössischen Kunstmusik sollen künftig bis zu neunzig Prozent Einkommenseinbruch hinnehmen. Neunzig Prozent – das ist nicht Bereinigung, das ist Hinrichtung. Wer Orchesterpartituren schreibt, kommt damit nicht in eine Schieflage, sondern verschwindet von der beruflichen Landkarte. Festivals, freie Ensembles, Hochschulprojekte hängen an eben diesen Honoraren; reißt man sie heraus, stürzt das ganze Ökosystem in sich zusammen.
Die GEMA verkauft das als „Fairness“: Alle Genres sollen gleichbehandelt werden, weil sich angeblich niemand mehr in E oder U einordnen möchte. Gleichbehandlung aber ist nur dann gerecht, wenn die Ausgangslagen gleich sind. Ein Popsong holt seine Klickzahlen – und damit Tantiemen – rund um den Globus; ein Streichquartett läuft einmal im Jahr in einer Black‑Box vor fünfzig Zuhörern. Wer diese beiden Realitäten über denselben Kamm schert, produziert keine Gerechtigkeit, sondern nivelliert Unterschiede, bis nur noch Marktmasse übrig bleibt.
Historisch ist der Schritt ein Sündenfall. Seit Kant wissen wir, dass Kunst gerade dort beginnt, wo sie zweckfrei wird, nicht an der Kinokasse abgestempelt. Adorno warnte vor der Kulturindustrie, die alles zur Ware schrumpft; nun macht die GEMA das Programm zur Satzung. Nicht mehr das Werk hat Wert, sondern seine Verwertbarkeit. Innovation, Risiko, Experiment – all das, was Kunst gegenüber Unterhaltung auszeichnet, wird in die Haushalts-Rubrik „unrentabel“ verschoben, mithin entsorgt. Eine Kulturnation, die sich so verhält, sägt am eigenen Begriff von Geist. Keine Kathedrale wurde je gebaut, weil der Quadratmeterpreis stimmte.
Gleichzeitig schiebt man den Jüngsten den Stuhl weg. Die Rektorenkonferenz der Musikhochschulen warnt, dass Kompositionsstudierende künftig keinen Berufseinstieg mehr finden; eine Ausbildung ohne Aussicht auf Lebensunterhalt ist nur edle Folklore. Die GEMA zertrümmert also nicht nur Gegenwart, sie verhindert Zukunft.
Dass ausgerechnet Deutschland – Land der Bach‑Kantaten, der Beethoven‑Sinfonien und der Nachkriegsavantgarde – diese Schleifung eigenhändig vollzieht, ist grotesk. Jahrzehntelang galt die GEMA mit ihrem 10‑Prozent‑Sozial‑ und Kulturabzug als internationales Vorbild für solidarische Förderung. Jetzt knickt sie vor jener Mehrheitslobby ein, die kurzsichtig ihren Anteil am großen Streaming‑Topf wachsen sehen will. Man kann Geld scheffeln oder Geschichte schreiben – beides zugleich geht selten.
Der härteste Vorwurf lautet darum: Diese Reform ersetzt Kulturpolitik durch Kassenbuch. Was bleibt, ist eine musikalische Monokultur nach Spotify‑Algorithmus, glatter Exportartikel ohne Tiefenschärfe. Wenn gesellschaftlicher Diskurs, ästhetische Forschung und geistige Selbstbegegnung keine Dividendenscheine mehr abwerfen, gehen sie unter. Die GEMA sollte sich daran erinnern, dass sie Treuhänderin einer pluralen Musiklandschaft ist, nicht deren Liquidator. Noch ist Zeit, die Abstimmung zu kippen. Sonst wird die einst weltweit einzigartige Solidarpartnerschaft deutscher Komponisten als Fallstudie enden: so marginalisiert man Hochkultur im Namen der „Fairness“.
Autor:Marko Cirkovic aus Durlach |
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