„Selbst schuld, du Schwuchtel!“ – Schonungslose Autobiographie aus Landstuhl

- Von Schlagzeilen zur Lebensgeschichte: Jessica Krämer aus Landstuhl erzählt in „Selbst schuld, du Schwuchtel!“ ihre Vergangenheit mit all ihren Abstürzen, Kämpfen und Neuanfängen.
- Foto: Fotomontage: Stegner / Fotos: Jessica Krämer
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Ein Leben voller Abstürze, Gewalt und Verzweiflung: Jessica Krämer aus Landstuhl erzählt in ihrer Autobiographie, was wirklich hinter den Schlagzeilen aus den Jahren ihrer Kindheit und Jugend in der Westpfalz steckt.
Von Erik Stegner
Landstuhl. Mit schonungsloser Offenheit blickt Jessica Krämer in ihrer Autobiographie „Selbst schuld, du Schwuchtel!“ auf eine Jugend voller Abstürze, Gewalt, Knast und Verzweiflung zurück. Viele ihrer Erlebnisse spielen direkt in Landstuhl. Schon früh fühlte sie sich als Frau im Körper eines Jungen – ohne Verständnis in der Familie, ohne Halt und Unterstützung.
In 79 Kapiteln schildert sie eindringlich Erfahrungen ihrer Kindheit und Jugend bis zum 18. Lebensjahr. Am 26. September ist das Buch aus dem Verlag Campaign House bundesweit zu kaufen. Für die 35-Jährige ein Meilenstein, der zugleich eng mit ihrer Heimatstadt Landstuhl verbunden ist. Aber Vorsicht: Krämer schreibt kompromisslos und detailreich – nichts für zartbesaitete Leser.
Schlagzeilen aus Landstuhl
Viele Menschen in der Sickingenstadt erinnern sich bestimmt noch an die Schlagzeilen aus den frühen 2000er-Jahren: Berichte über Einbrüche, spektakuläre Fluchten vor der Polizei und jugendliche Eskapaden machten zu diesem Zeitpunkt die Runde, auch im Wochenblatt. „Hungrige Einbrecher“ hieß einer der Artikel, nachdem sie im Burgrestaurant eine Mahlzeit zubereitet hatte. Hinter diesen Schlagzeilen verbarg sich das Schicksal eines jungen Menschen, der im Alter von 14 Jahren auf der Straße lebte, in Heimen aufwuchs, in Landstuhl von Prostitution überlebte – und zugleich auf der Suche nach Identität und Anerkennung war: Jessica Krämer.
Kindheit voller Konflikte
Schon früh spürte Jessica, dass sie anders war. Während sie selbst die Kleidung ihrer Schwester anzog und lieber Mutter spielte, reagierte ihr Umfeld mit Härte. Besonders eindringlich schildert sie eine Szene aus ihrer Kindheit: Als ihre Mutter sie in einer Strumpfhose erwischte, schrie sie mit einem Rosenkranz in der Hand: „Teufel, komm raus!“ Für Jessica ein traumatisches Erlebnis: „Das war der Tag, an dem etwas in mir zerbrach“, schreibt sie in ihrem Buch.
Vom Feuer zur Schlagzeile
Auch die frühen Jahre in Landstuhl hinterließen Spuren. Mit neun Jahren setzte sie gemeinsam mit einem Freund beim „Krieg spielen“ versehentlich den Wald in Brand. Die Landstuhler Feuerwehr rückte mit Großaufgebot aus, im Wochenblatt erschien die Meldung „Kinder verursachen Großeinsatz“. Während die Erwachsenen entsetzt waren, empfand die junge Jessica damals auch Stolz, plötzlich selbst in der Zeitung zu stehen. Ein Beispiel für das Spannungsfeld zwischen Außenseitertum und verzweifelter Suche nach Aufmerksamkeit.
„Mein Leben war kein Märchen“
„Es war ein Scherbenhaufen aus Schmerz, Missbrauch und einem System, das mich fallen ließ, bevor ich überhaupt wusste, wie man steht“, erklärt sie. Krämer beschreibt, wie sie als Transfrau immer wieder kämpfen musste: gegen Gewalt, Missbrauch, Ablehnung und gegen das Gefühl, im falschen Körper gefangen zu sein. Sie versteht ihr Schreiben nicht als künstlerisches Experiment, sondern als Überlebensarbeit: „Dieses Buch ist kein Märchen, es ist ein Überlebensprotokoll“, betont sie.
Ein Zeichen gegen Schweigen
Heute, zwei Jahrzehnte später, lebt Jessica Krämer (35) ein anderes Leben – als Autorin, Musikerin und Aktivistin im saarländischen Neunkirchen. Unter ihrem Künstlernamen alchknd verarbeitet sie die Abstürze ihrer Vergangenheit auch musikalisch. Mit Distanz und literarischer Wucht setzt sie ein Zeichen gegen Ausgrenzung und Schweigen. „Niemand ist ‚selbst schuld‘, wenn er verletzt und ausgegrenzt wird“, lautet ihre Botschaft.
Mein Fazit
In Landstuhl wird dieses Buch bei vielen Menschen nachhallen. Aus Schlagzeilen von einst wird eine Lebensgeschichte, die betroffen macht und zum Nachdenken zwingt.
- Erhältlich: seit dem 26. September 2025 (bundesweit)
- Preis: 24,50 Euro (Taschenbuch)
- ISBN-10: 3982524571
- ISBN-13: 978-3982524573
- Mehr Infos: www.alchknd.de
Autor:Erik Stegner aus Landstuhl |
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