Unterwegs in Georgien
Seminare können schon mal kurzfristig ausfallen

Blick auf Tiflis | Foto: © www.jowapress.de
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Zugegeben, es ist nicht unbedingt eine Aufgabe, um die man sich formell irgendwo bewirbt, es war vielmehr so, dass ich zu dieser Lehrtätigkeit im georgischen Tiflis gewissermaßen irgendwie nebenbei kam. Angefangen hatte es, dass ein Karlsruher Theaterdirektor, der regelmäßig in Georgien für Regie, Theaterfestivals und zur Ausbildung in den Bereichen Eventorganisation Seminare gibt, mich vor Jahren eher beiläufig mal fragte, ob ich nicht Lust hätte, mir das Land anzuschauen. Ich könne ja dann „auch ein paar Seminare in Sachen Journalismus geben“, so seine Erläuterung, denn das sei in Tiflis sehr gefragt. Sie hätten das Problem, dass sie nicht so oft westliche Referenten zu diesem Thema bekämen. Geld gäbe es zwar so gut wie keines, aber dafür seien alle sehr gastfreundlich – und das Land absolut sehenswert! Spontan sagte ich bei dieser Anfrage jedenfalls nicht zu, daran erinnere ich mich noch genau, doch die Idee reizte mich, zumal ich das Land nicht kannte – und als er dann wieder mal danach fragte, befasst ich mich näher mit dem Thema.

Georgien? Es liegt irgendwo im Osten bei der Türkei, so viel wusste ich. Damals fielen mir auf jeden Fall zwei Geschichten dazu ein. Die deutsche Nationalmannschaft spielte vor Jahren mal in Tiflis, mitten in der Nacht, damit das Spiel zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr bei uns übertragen werden konnte. Damit das Flutlicht und der Strom für die TV-Übertragung aber auch gesichert war, wurde in etlichen Stadtteilen der Hauptstadt einfach der Strom abgeschaltet. Und dann war da noch die Geschichte von den Olympischen Spielen in Atlanta, bei der das Publikum schier ausrastete, als die Mannschaft von „Georgia“ bei der Eröffnungsfeier einmarschierte. Gut, sie war nicht besonders zahlenmäßig, aber darüber schauten die Amerikaner großzügig weg, denn sie dachten, das sei wohl die Mannschaft ihres Staates. Leider stand es damals um die geographischen Kenntnisse der Amerikaner offensichtlich nicht so gut, denn es war die Mannschaft des vorderasiatischen Staates Georgien, Teil der früheren Sowjetunion. Und auch Alexander Iashvili fiel mir noch ein, der frühere Fußball-Profi vom Karlsruher SC. Ihn fragte ich bei Gelegenheit, wie es denn in seinem Land sei. Seine Antwort war deutlich: „Das musst Du besuchen. Das ist ein sehr schönes Land!“

Berge bestimmen das Bild | Foto: © www.jowapress.de
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Das gab dann den Ausschlag, denn er lud mich noch ein zu einem Länderspiel gegen Lettland. Also sagte ich zu – auch für die Seminare –, bereitete mich auf die Reise vor. Die fachliche Konzentration lag dabei auf Printerzeugnisse, denn die seien in Georgen eine feste Größe! Ob Recherche, Interview, Quellenlage, Blattkritik, Aufbau & Struktur, Journalismus in Deutschland etc.: Die Themen vorzubereiten, sie zu vergleichen, zeigte sich hier bei uns als ein etwas schwieriges Unterfangen, denn Journalismus in Georgien ist ein etwas „anderes“ Thema.

Medien im Blick | Foto: © www.jowapress.de
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Zwar gibt’s mehr als 70 Zeitungen im Land – aber die „Pressefreiheit“ ist so eine Sache. Noch 2010 stand das Land auf dem „Press Freedom Index“ nur etwa auf Platz 100. Da kann man sich Themen und Inhalte in den Zeitungen quasi ausmalen. Zudem hat Georgien eine eigene Sprache, dem südkaukasischen zugehörig, die sogar ein eigenes Alphabet hat – was es auch in Zeiten des Internets nicht einfacher macht, diese Blätter zu „lesen“ …

1991 erklärte sich Georgien unabhängig, doch das stark christlich geprägte Land, das von Tourismus, Zitrusfrüchten, Tee, Wein oder Chemikalien „lebt“, hängt gewissermaßen noch immer an der Nabelschnur Russlands, kam seitdem nicht so richtig zur Ruhe. Ob Putsch, Rosenrevolution, Korruption, Massenproteste, Krieg oder Regierungswechsel: Kein Wunder, dass viele Georgier ihrem Land den Rücken kehrten, nur noch rund 3,9 Millionen Menschen leben dort auf einer Fläche so groß wie Bayern. Doch in den vergangenen Jahren gab es heftige Anstrengungen, den Nachwuchs gezielt auszubilden. In Georgien sind unter 1.000 Einwohnern statistisch gesehen knapp 28 Studenten, das ist mehr als bei uns! Besonders beliebt sind dabei die Fächer Event, Marketing – in allen Schattierungen – und eben Journalismus.

Zeitungen im Blick | Foto: © www.jowapress.de
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Also Flugticket besorgt, was nicht gerade günstig war, denn für den Preis kann man auch nach New York fliegen, zudem gab es keinen Direktflug ab Frankfurt – aber von München ist man knapp fünf Stunden unterwegs. Im Gepäck hatte ich stapelweise Zeitungen und Magazine, querbeet durch alle Gattungen. Man solle schnell schlafen, so der Tipp der erfahrenen Tiflis-Flieger, denn man merkt schnell, welche Bedeutung das Land hat: Die Flüge gehen aus Deutschland immer zu normalen Uhrzeiten weg, aber man fliegt in die Nacht. Raus aus dem Flieger, Gänge entlang zur Passkontrolle: Erfreulich, es sind 16 Schalter geöffnet! Ein Blick auf den Pass, Stempel rein – und dann gab es auch noch ein Geschenk. Ein Fläschchen Wein, nett verpackt. Alkohol bei der Einreise? Dieses Thema wird mich noch begleiten. Zum ersten Mal bekomm ich ein Geschenk, wenn ich in ein Land einreise. „We warmly welcome you to Georgia – the country that gave wine to the world and often referred to be the cradle of wine”. Sogar mit einem „Welcome to Georgia“ bekommt man das in die Hand gedrückt. Wenn ich da an die Abfertigung in Frankfurt denke, die so ziemlich das komplette Gegenteil ist – mit fehlender Freundlichkeit, wenig Schalter, Warteschlangen und dem vermittelten Gefühl, man störe die von Steuergeldern Bezahlten! Man muss eben ins Ausland reisen, um zu sehen, wie Dienstleistung sein kann, wie das funktioniert. Zudem gab es mit den beigelegten Infos so gleich auch einen ersten Bezug zu Land und Geschichte.

Die Nacht wird zum Tag
Es ist ein Eintauchen in eine andere Welt, Hochbetrieb auf einem Hauptstadt-Flughafen, der aber alles andere als großstädtisch wirkt, kein Wunder, aus allen Himmelsrichtungen kommen die Flüge mitten in der Nacht hier an, Hauptsache, die Taktung des Ablaufs passt in den der anderen Länder. Fahrt in die Stadt auf einer absolut geraden Straße, typisch Ostblock, sechsspurig, alles „clean“ rechts und links – und die Straße heißt auf den letzten Kilometern rein in die Stadt „George W. Bush Street“. Nicht gerade verwunderlich, denn nördlich des Landes ist Russland, südlich Türkei, Armenien und Azerbaijan – dahinter dann der Iran. Kein Wunder, dass sich die Amerikaner seit Jahren hier so „freundlich“ engagieren!

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Tiefste Nacht, doch alle Sehenswürdigkeiten sind taghell beleuchtet – und das, obwohl fast der gesamte Strom importiert werden muss. Ins Hotel, kurzer Schlaf, Frühstück, Fahrt zur ersten Hochschule, der „Georgisch-Europäischen Akademie“. Begrüßung, kurzes Briefing vom Direktor, Vorstellung des Kollegiums, Vorstellung der Studenten, Intro, Einführung in das Thema des ersten Seminars, das groß angeschrieben ist: „Event Management and Comunication“ [sic]. Mein mitreisender Kollege übernimmt zunächst die Events, ich dann den allgemeinen pressetechnischen Part, bevor es zum Thema Journalismus geht.

Wichtig ist der Praxisbezug
Gefragt ist in Tiflis bei allen Vorlesungen und Seminaren der Teil der Erfahrung, die praktische Anwendungen, die Umsetzung von theoretischen Ansätzen in die Praxis. Ob rund um das Thema Event-Management, Umgang mit der Kommunikation in diesem Kontext, der „Freiheit“ der Nachricht oder der Umgang mit Meldungen im Sinne von „was darf ich, was muss ich, was kann ich“. Die rund 25 Studenten, gemischt männlich und weiblich, sind äußerst wissbegierig – und das fällt sofort auf, sehr pünktlich und diszipliniert. Etwas unpraktisch ist die Teilnehmerliste auf Georgisch, denn das vereinfacht die An- und Aussprache nicht unbedingt!

Zeitungsstudium | Foto: © www.jowapress.de
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Das kenn ich von meinen Vorlesungen an der Uni in Karlsruhe anders. Die Lehreinheiten hier werden in englischer Sprache gehalten, werden dabei – falls Fragen sind – zur Sicherheit auch ins Georgische übersetzt, obgleich alle Studenten Englisch können, dazu viele erfreulicherweise auch Deutsch. Etwas skurril ist es schon: Man spricht Deutsch und Englisch in einer Art Mix, es wird übersetzt, und so bekommt man auch in diesem sprachlichen Mix Fragen gestellt. Es komme ihnen besonders auf den Blick über die Grenze, auf andere Medien- und Mitteilungsarten an. „Da macht die Übersetzung nichts aus“, betont Studentin Marika in deutscher Sprache. Denn als großes Plus empfinden die Studenten, dass es kein klassischer Unterricht ist. Wichtig sind ihnen Übungsteile, vergleichenden Bezüge, Berichte aus der Praxis und konkrete Beispiele. „Das ist sehr lehrreich für die Studenten“, betont Dozentin Salome Chelidze, die tapfer alles übersetzt. „Die Ausführungen und Übungen machen es spannend und lehrreich für uns“, sind sich in diesem Fall Studentin Marika und auch Marina Purtseladze, Head of International Relations Department, einig.

Das Vergleichende ist dabei auch für mich spannend, denn die georgischen Zeitungen haben in der Tat „viel zu sagen“, da wird wirklich jede Zeile genutzt, jeder „freie Platz“: Auffallend wenig Bilder gibt’s, zudem in der Regel schwarz-weiß und klein, gedruckt auf „sehr griffigem“ Papier mit einer verschmierten Druckerfarbe, die zudem massiv abfärbt. Wirklich erstaunlich sind die winzigen Bilder auf den Seiten, wahre „Thumbnails“. Ich verstehe nichts, aber auch wirklich gar nichts vom Inhalt – es sei denn, das winzige Bildchen gibt mir einen Hinweis – aber meist ist das Bild auch zu klein, zeigt dazu Personen (gerne Gruppenbilder), die auch nicht wirklich weiterhelfen – und (Dank der Übersetzung) es sind meist regional-lokale Themen. Drei, vier Blätter liegen zudem vor, die zwar in englischer Sprache sind, aber mit ähnlicher Aufmachung, dafür hin und wieder aber mal etwas Farbe. Diese Ausgaben liegen meist in Hotels aus, haben dann auch das „weite Feld“ des Tourismus als Thema.

Interaktion ist gefragt
Aber auf jeden Fall ist es ideal für einen Vergleich mit den mitgebrachten Produkten, die dagegen wie wahre „Bilderbücher“ wirken: große bunte Fotos, meist angenehm anfühlendes Papier, plakative Headlines, bildbestimmtes Layout oder eher spielerische Aufmachung mit kreativen Elementen und erläuternden Info-Teilen. In Tiflis hätte ich keine Zeitungs-Beispiele für einen Vergleich erfinden müssen, die gibt’s hier wirklich an jeder Ecke! Ob Blickverlauf, Aufmachung, „Anker“ auf der Seite, Struktur, Spiel mit Bildern, Text-Bild-Schere … Für die Studenten ist das Neuland, kein Wunder bei der georgischen Zeitungslandschaft.

Ruckzuck wurde aus dem Seminar quasi ein „Doppelseminar“, Unterrichtsglocke hin oder her – und auch der Dozent, der nach mir dran wäre, sitzt längst im Auditorium, beschäftigt sich mit dem Thema. Die Block-Veranstaltungen, später auch an den anderen Hochschulen, dauern letztlich alle länger, kommen erfreulicherweise offensichtlich bestens an, „denn sie bieten einen sehr starken Bezug zur Praxis“, freut sich Ruska – besonders auch durch Interaktion in der „Vermittlung“. Jede Menge Infos ziehe auch ich aus den ersten Stunden, habe auch jede Menge Beispiele zur Ansicht dabei: „Bild“, „FAZ“, „Zeit“, „Le Monde“, die Karlsruher Tageszeitung, „USA Today“, „International Herald Tribune“, „Stuttgarter“, „Süddeutsche“ … was eben der Zeitungskiosk am Abflugtag am Flughafen so alles bot – und hin und wieder ist auch Georgien mal als Thema drin – so im hinteren Teil unter „Vermischtes“. Bei einem langen Flug blättert man dann doch die Ausgaben durch!

Bei meinen Seminaren in Karlsruhe gibt es Präsenzpflicht, es klingelte und meist sind die Studis dann gleich weg. Ob das nun an mir lag, an der Einstellung oder am allgemeinen Gehabe, kann ich nicht sagen, doch hier ist das völlig anders. Man erläutert, zeigt auf, vergleicht, bindet Studenten ein, gibt Anregungen, lässt Vergleiche herausarbeiten – und im umgekehrten Fall werden einheimische Zeitungen „zerpflückt“ und das Thema selbst erarbeitet. Platzierung der Bilder, Auswahl, Ausschnitte, Spiel mit der Position des Bildes zum Aufmacher, Wahl der Themen, Recherche, Headline, Subline, Größe, Artikelaufbau, Vergleiche der Artikel mit anderen Zeitungen, Zwischenüberschriften, Info-Boxen, Schrift, Laufweite des Textes, Lesbarkeit, Spaltenbreite, Anordnung der Anzeigen, Text-Anzeigen-Verhältnis, Akzentuierung, Freiraum … Die Menge der Themen, die Masse der Fragen reicht letztlich bei weitem nicht für nur einen Block. Also gibt’s eine Überziehung der Zeit, letztlich werden es dann sogar auch weitere Folgestunden. Überraschende Erkenntnis für mich: Ich könnte aus jedem Themenbereich ein eigenes Seminar machen. Doch das hat einen „alltäglichen“ Hintergrund – und wir sind wieder beim „Press Freedom Index“. Der bisherige Kontakt mit einem journalistischen Medium war für viele eher nebenbei. Kein Wunder bei der oftmals gehörten Aussage, „die schreiben doch eh nur, was keiner oder alle wollen!“

Start mit den Basics
Hintergründe sind gefragt – und die Fragen erstaunen letztlich auch mich etwas! Wie es sein kann, dass die Angebote bei eigentlich gleicher Wahrnehmung einer Zeitungsseite durch den Betrachter in beiden Ländern so verschieden sein können? Warum Themen groß oder gar nicht stattfinden in unterschiedlichen Medien? Wie die Themenauswahl erfolgt, wie Zitate entstehen, welche Quellen man nutzt, welchen Wahrheitsgehalt eine Meldung hat, wie sich Aufmachungen entwickelt haben, welche Rechte Journalisten haben – und … ob sie auch mal Schläge bekommen? Diese Frage macht mich stutzig! Hintergrund ist, dass gelegentlich Kollegen in Georgien bei einem Artikel, der, drücken wir es mal so aus, nicht zur allgemeinen Zufriedenheit ausfällt, eine Abreibung bekommen – ohne großen weiteren Kommentar. „Der Schreiber wüsste dann ja schon, warum“, so die simple Antwort!

Tiflis ist am Fluss gebaut  | Foto: © www.jowapress.de
  • Tiflis ist am Fluss gebaut
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Für die weiteren Seminare war mir klar: Struktur ändern, anpassen auf andere Anforderungen. Also mache auch ich einen Lernprozess durch, gewinne neue Erkenntnisse. Der praktische Bezug muss omnipräsent sein, dazu Übungen „en masse“, denn die georgischen Studenten wollen sich die Sachen offensichtlich „erarbeiten“. Positiver Nebeneffekt: Das regt enorm zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema und dem Journalismus an; sie erweitern so ihren Blick auf Medium, Medien und Inhalte. Etwas, was auch bei uns für viele gut wäre. Diese „andere Ausrichtung“ bringt für mich eine Nachtschicht, aber am nächsten Tag ist das Angebot auf die Bedürfnisse angepasst. „Der konkrete Bezug muss da sein“, bestätigen mir Kollegen, „das wollen die Studenten hier.“ Besonders, wenn „Expats“ am Start sind, denn durch die Bank weg wollen alle für ein Praktikum ins Ausland. Auch mit Karlsruhe laufen längst Anfänge von Austauschprogrammen, unter anderem an der Hochschule. Intention ist, dass in Zukunft mehr georgische Studenten regelmäßig den Weg nach Deutschland finden.

Blick in die sehr tief gelegene U-Bahn - wie in Moskau | Foto: © www.jowapress.de
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Doch gewöhnen muss man sich in Tiflis aber auf der anderen Seite auch daran, dass Stunden einfach mal so ausfallen, weil es keinen Aushang gab, weil kurzfristige Änderungen im Ablauf alles durcheinander wirbeln. Flexibilität ist eben angesagt, aber auch für die Studenten ist das dann kein Problem, dass die Reihenfolge der Seminare und Vorlesungen mitunter eine andere ist. „Das ist eben so bei uns“, lautet der lakonische Kommentar von Lehrkräften und Studierenden. Erneut läutet die Unterrichtsglocke – diesmal ist es Mittagszeit.

In dem eher an ein großes Wohnhaus erinnernden Gebäude über drei Stockwerke ist Bewegung, rund 150 Studenten sind im Haus unterwegs. Man geht in die „Mensa“ – ein Tisch im Raum ist reserviert für Lehrkräfte – ansonsten passen 30 in den Raum. Essen gibt’s von einer Familie, die wie bei uns den Kantinenbetrieb organisiert, die täglich etwas kocht und mittels Aushang (auf Georgisch) – und per „Ausstellung“ einer Portion auf einem Teller das Essen auch bildlich ankündigt. Dennoch ist es für mich eher ein Ratespiel. Übrigens auch die Wahl des Kaffees am Automat! Naja, der teuerste (1 € = 2,2 georgische Lari) wird wohl der mit Milch sein.

In der Kantine - auch mit einem "Ansichtsteller" | Foto: © www.jowapress.de
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An der „IB Euro-Caucasian University“ ist es ein ähnlicher Ablauf, deckungsgleiches Interesse und Verhalten. Begrüßung, Tee, Intro, Ablauf der Veranstaltung, Verlängerung, Gespräche, Austausch der Visitenkarten, Teerunde, Fragestunde der Kollegen – alles in einem mehrsprachigen Kauderwelsch.

Essen und Ausflüge als "Zusatz"
Wie erwähnt, Geld gibt’s quasi keines für die Tätigkeit, dafür kümmert man sich rührend um uns Lehrbeauftragte, stellt Fahrer und Betreuer, organisiert Ausflüge, Besichtigungen, besorgt Theater- oder Konzertkarten – und lädt uns auch ein zu Abendessen mit familiärem Anschluss. Interessant, so in eine Kultur eintauchen zu können, denn man sitzt dann zum Beispiel bei einer Familie in einer Wohnung im dritten Stock, einem typischen „Sowjet-Plattenbau“, doch den Aufzug im Treppenhaus (ohne Licht) nehm ich lieber nicht. Der sieht schon beim Anschauen aus, als ob er stehenbleiben will.

Einladung in eine Privatwohnung | Foto: © www.jowapress.de
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Gastgeber des Abends ist ein früherer Präsident des Fußballclubs Dinamo Tbilisi, dessen Familie mit zahlreichen Hochschulen „verbunden“ ist. Der Verein war in den 80er Jahren mal UEFA-Cup-Gewinner, ansonsten sind sie Abonnementsmeister. Die Balken biegen sich beim Essen; es wird aufgefahren, was die Küche so hergibt. Vorspeisen; Gurken und Tomatensalat (sehr schmackhaft), Käsesorten („Suguni“, „Imeruli“ und „Guda“), „Chatschapuri“, eine Art Käsepizza, Maisbrot, „Chinkali“, gefüllte Teigtaschen (wie Maultaschen), die in einer Art Säckchen gemacht werden, gefüllte Auberginen mit Walnusspaste, Schaschlik mit „Sasebela“, einer Tomatensauce, „Tschurtschchela“, Nüsse, die auf einer Schnur aufgefädelt und dann in eingedickten Traubensaft getunkt werden. Ein ums andere Mal schleppt die Hausherrin, die Frauen sitzen übrigens alle am Tischende, ein Tablett mit neuen Speisen ran. Der Tisch ist zwar voll, aber das ist egal, da kommt noch was dazu – und man stellt Teller sogar auf Teller!

Auch die Getränkeauswahl ist georgisch: Wasser (still, prickelnd), Wein (rot und weiß im Krug), Bier (zwei Sorten) – und natürlich Vodka, der nie auszugehen scheint! Über den Abend gab es davon mehrere Flaschen, die geleert wurden! Das Trinken gehört zur Geschichte einfach irgendwie dazu. Die Menschen hier feiern gerne – und dazu braucht es eben keinen besonderen Anlass. Die Feier ist der Anlass! Dazu gibt’s einen Trinkspruch nach dem anderen, stets ausholend – aber herzlich. გაგიმარჯოს, „Gagimardschos“, also „Prost“. Danach: Anstoßen und trinken! Das Leermachen der Gläser ist angesagt – aber schwupps ist das Ding wieder voll – und so langsam spürt man das dann auch. Endlich wird man aufgeklärt: Wenn man nicht mehr will: Das Glas einfach voll stehen lassen, nur nicht aus Höflichkeit leeren …

Brauereiausschank am Straßenrand | Foto: © www.jowapress.de
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Region erkunden
Am Wochenende gibt’s dann ein straffes touristisches Programm in die Region. Ob nach Kazreti an der türkischen Grenze, nach Telavi oder zu Burgen: Schon komisch, wenn man plötzlich Straßenschilder mit dem Hinweis auf Teheran sieht. Es geht zu Felsenfestungen, zum Wohnhaus des Schriftstellers Knut Hamsun, nach Gori, dem Geburtsort Stalins, dort schwelgt übrigens alles in Sowjet-Nostalgie, oder zum Kloster Shuamta. Bemerkenswert: Die Georgier bekreuzigen sich an jeder Kirche, berühren Eingänge, Rahmen, Schilder, Bilder, küssen sie mitunter auch, zudem wird eine Handvoll Kerzen angezündet. Religion inniglich gelebt von der gesamten Familie! Äußerst interessant: Die Georgier, die einen betreuen, sind auffallend gut vernetzt, ständig treffen sie einen, den sie kennen, der dann im lokalen Bereich die Betreuung übernimmt.

Es ist genau dieser Mix, der diesen Besuch letztlich so interessant macht, vier Tage lang voller Seminare und Übungen, abends private Einladungen, eine ansprechende Stadt, die zur Erkundung einlädt, zuvorkommende und freundliche Menschen – und dazu neue Erlebnisse und Betrachtungen. „Wir brauchen diese Kontakte und praktischen Erfahrungen“, so Mate Takidze, der ehemalige Kulturminister des Landes, heutiger Direktor vom „Spectri LEPL Vocational College“, der sich auch schon für Seminare (an-)gemeldet hat.

P.S. Ach ja, im Länderspiel wurde Iashvili ausgewechselt, Georgien verlor völlig unnötig mit 0:1 gegen Lettland – und Trainer Temur Ketsbaia war so stinkig, dass die Spieler zunächst nicht Heim durften. Dafür hat Iashvili den Manager der Nationalmannschaft geschickt, quasi den georgischen Rudi Völler, der dann mit uns um die Häuser zog – Iashi rief übrigens alle 30 Minuten an und fragte nach, ob wir genügend zu trinken hätten. Oh ja, wir hatten – aber das ist eine andere Geschichte! 
Mehr zum Land unter https://georgia.travel/

Autor:

Jo Wagner

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