Das stumme Starren:
Der moralische Kompass der digitalen Gen-Z

Symbolbild | Foto: anna-shvets

Die Grenzen zwischen digitaler und realer Welt verschwimmen in unserer heutigen Gesellschaft immer mehr, ein Prozess, der sich unaufhaltsam und schnell wie eine digitale Tintenwelle über das bewusste Denken der Generation Z, unserer jüngsten Generation, ergießt. Geboren in der Ära der Informationstechnologie, sind diese jungen Menschen Pioniere in einer Welt, in der Social Media und die damit verbundene Konnektivität zu einer unausweichlichen Realität geworden sind. Doch mit diesem Fortschritt kommt eine beunruhigende Verschiebung der sozialen Dynamik – eine Verschiebung, die die Grundprinzipien des Anstands und des Respekts zu erodieren scheint. Es ist das Phänomen des "stummen Starrens", das diese Generation in einen Zustand der Konfusion und des sozialen Unbehagens versetzt.

Instagram, Snapchat und TikTok sind zu elementaren Bestandteilen ihrer Identität und ihres Sozialverhaltens geworden, und obwohl sie unbestreitbar eine Plattform für Kreativität und soziale Verbindung bieten, haben sie auch eine Kultur des ständigen Beobachtens und der Selbstinszenierung geschaffen. Stundenlang durch den Feed einer Person zu scrollen, ihre Bilder anzusehen und die intimsten Details ihres Lebens zu erkunden, ist in dieser digitalen Landschaft zur Norm geworden. Der "Like"-Button und die Kommentarfunktion fördern diese voyeuristische Kultur und geben den Benutzern die Illusion, dass sie einen legitimen, wenn auch distanzierten, Teil des Lebens einer anderen Person sind.

Doch was passiert, wenn diese digitalen Verhaltensweisen, die scheinbar harmlos auf den glühenden Bildschirmen unserer Geräte bleiben, in die physische Welt übertragen werden? Was passiert, wenn junge Menschen anfangen, andere Menschen mit der gleichen Direktheit und Absichtslosigkeit zu betrachten, wie sie es mit den Bildern auf ihren Bildschirmen tun würden?

Forschungen haben ergeben, dass junge Menschen, die einen Großteil ihrer Zeit auf Social-Media-Plattformen verbringen, dazu neigen, diese digitalen Verhaltensweisen in die physische Welt zu übertragen. Dies hat zu einem beunruhigenden Phänomen geführt, bei dem junge Menschen andere Menschen offen und unverhohlen anstarren, als ob sie ein Bild auf einem Bildschirm betrachten würden, ohne den Unterschied zwischen einem digitalen Bild und einer lebenden, atmenden Person zu machen.

Diese Verhaltensverschiebung hat gravierende Auswirkungen auf das soziale Gefüge unserer Gesellschaft. Sie untergräbt das grundlegende Prinzip des Respekts für persönliche Grenzen und Privatsphäre. Sie erzeugt ein Gefühl der Entfremdung und des Unbehagens bei denjenigen, die das Objekt solcher unverhohlenen Blicke sind. Und vielleicht am alarmierendsten ist die Botschaft, die sie an unsere junge Generation sendet: dass es in Ordnung ist, andere Menschen ohne ihre Zustimmung oder ihr Wissen zu beobachten. Diese latente Exhibitionismus-Kultur, die sich wie ein unaufhaltsames Öl auf dem Ozean unserer zwischenmenschlichen Beziehungen ausbreitet, ist ein trauriges Testament für den Verlust von Diskretion und Respekt. Es ist ein bedauernswerter Fehlschluss, hervorgebracht durch die Fehlwahrnehmung des Cyberspace als authentisches soziales Umfeld. Dieser antipodale Gedanke, dass es in der Offline-Welt genauso akzeptabel ist, andere unverhohlen anzustarren, verheißt eine düstere Zukunft.

Die aktuellen Studien von Harvard und Cambridge legen nahe, dass eine ständige Exposition gegenüber Social-Media-Plattformen zu einer Erosion des Verständnisses für soziale Normen führen kann. Ein Phänomen, das als "Online-Disinhibition-Effekt" bekannt ist, könnte dazu führen, dass junge Menschen ihre digitalen Verhaltensweisen in die physische Realität übertragen. In der virtuellen Welt ist es normal, andere auf ihren geposteten Bildern anzustarren, aber in der physischen Realität sind solche Verhaltensweisen ein Affront gegen die Privatsphäre und den persönlichen Raum.

Die omnipräsente Praxis des "Liken" und "Stalken" auf diesen Plattformen untergräbt jedoch dieses fundamentale Verständnis von Anstand und Respekt. Sie hat eine Generation hervorgebracht, die in den Abgrund ihrer Bildschirme starrt, auf der Suche nach Nähe und menschlicher Verbindung, jedoch blind für die Offensichtlichkeit ihrer eigenen Unzulänglichkeit im realen Leben.

Der Körper von Forschungsergebnissen, die diese Verhaltensänderungen dokumentieren, ist alarmierend. Eine Studie, die 2021 im Journal of Behavioral Addictions veröffentlicht wurde, fand heraus, dass die Verwendung von Social Media mit einem höheren Risiko für soziale Vergleiche und Körperunzufriedenheit verbunden ist. Es ist ein endloser Zyklus von Vergleichen und Neid, der zu einem Gefühl der Entfremdung und Unzufriedenheit führt.

Diese symbiotische Verbindung mit der digitalen Welt, die bis zur pathologischen Co-Abhängigkeit reicht, hat dazu geführt, dass junge Menschen den subtilen sozialen Tanz des Respekts und der Rücksichtnahme, der einst das Herzstück unserer zwischenmenschlichen Interaktionen war, vergessen haben. Die Abhängigkeit von virtuellen Bestätigungen hat zu einem Mangel an realen sozialen Fähigkeiten geführt, wodurch unsere Jugendlichen zunehmend isoliert und unbeholfen in sozialen Situationen werden.

Es ist dringend notwendig, diese Entwicklung zu korrigieren. Bildungseinrichtungen, Eltern, ja, die Gesellschaft insgesamt müssen die Verantwortung übernehmen, den jungen Menschen zu helfen, den Unterschied zwischen der digitalen und der realen Welt zu verstehen. Es ist wichtig, dass sie verstehen, dass das, was in der digitalen Welt akzeptiert wird, nicht automatisch auf die physische Welt übertragen werden kann.

Neben der Aufklärung über die Unterschiede zwischen dem digitalen und dem realen Raum müssen wir auch anfangen, das Thema digitaler Etikette in die Erziehung unserer Kinder aufzunehmen. Es ist wichtig, dass junge Menschen verstehen, dass das, was auf ihren Bildschirmen passiert, Auswirkungen auf ihr Verhalten und ihre Interaktionen in der realen Welt haben kann. Es ist wichtig, dass sie lernen, die Grenzen der Privatsphäre zu respektieren, sowohl online als auch offline.

Es liegt in unserer Verantwortung, diese beunruhigende Entwicklung zu stoppen. Es ist an der Zeit, die Grenzen zwischen der digitalen und der realen Welt wiederherzustellen und die Grundprinzipien des Respekts und des Anstands wieder in den Vordergrund zu rücken. Die Zukunft unserer Gesellschaft hängt davon ab, wie wir diese Herausforderung angehen. Es ist an der Zeit, das stumme Staunen in ein bewusstes, respektvolles Sehen zu verwandeln. Denn am Ende des Tages sind wir alle mehr als nur Bilder auf einem Bildschirm - wir sind lebende, atmende Menschen, die Respekt und Anstand verdienen.

Wir dürfen nicht zulassen, dass die Digitalisierung unserer Gesellschaft zu einer Entmenschlichung unserer sozialen Interaktionen führt. Es ist an der Zeit, den Kurs zu korrigieren und die Werte von Respekt, Anstand und Privatsphäre wieder in den Vordergrund zu rücken. Denn in einer Welt, in der die Grenzen zwischen dem digitalen und dem realen Raum immer mehr verschwimmen, sind diese Werte wichtiger denn je. Es ist an der Zeit, dass wir auf

hören, stumm zu starren, und anfangen, bewusst und respektvoll zu sehen.

Autor:

Marko Kuester von Ratenicz aus Karlsruhe

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