Nach 100 Jahren "Eck-Robert":
Aus für das älteste Wiesentaler Kiosk

Michael Knebel (auf dem Stuhl) und Tochter Julia
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Waghäusel. Der „Eck Robert“ - so die seit 100 Jahre übliche Bezeichnung für den Verkaufsladen in der Ortsmitte von Wiesental – schließt zum 28. März. Generationen haben dort Zeitungen und Zeitschriften, Zigarren und „Zuckerwaren“, Getränke und allerlei „Genussmittel“ gekauft. Der Platz vor dem Verkaufsstand diente auch als begehrte Begegnungsstätte, um Neuigkeiten auszutauschen.
Immer mehr haben die großen Supermarktketten und auch die Tankstellen mit ihrer Angebotsvielfalt den kleinen Kiosk an der Ecke verdrängt und ihm die Luft zum Überleben genommen. Die Einnahmen sind zurückgegangen, dafür ist der Verwaltungsaufwand gestiegen, die bürokratische Bonkassenpflicht hinzugekommen. „Es lohnt sich nicht mehr“, stellen Besitzer Michael Knebel, beruflich als Bauunternehmer tätig, und Kiosk-Geschäftsführerin Tochter Julia fest.
Vor 100 Jahren hatte sich ein junger Mann erstmals Gedanken gemacht, welchen Bedarf das etwa 4.000 Einwohner zählende Dorf wohl haben könnte. Der 20-jährige Robert Knebel entschied sich nach einer Vorbereitungszeit 1923 dafür, als „Eck-Frisör“ seinen Mitbürgern die Haare zu schneiden und neue Frisuren zu verpassen.
Doch damit allein war nicht allzu viel zu verdienen. So verkaufte er mit Genehmigung des Landrats so nebenher Tabak und „Zuckerwaren“, bald darauf auch Wein und Spirituosen. 1950 erweiterte er sein Geschäft um eine „Trinkhalle“ in Form eines mobilen Kiosks, den er morgens vor seinen „Salon“ stellte und abends wieder in den Hof schob. Tagsüber bot in dem Holzwagen auch Speiseeis, alkoholfreie Getränke und, wie es hieß, erfrischende Genüsse an. Laut Genehmigungsschreiben ergänzten alsbald Kaugummis und „pyrotechnische Gegenstände“ das Warensortiment.
Robert Knebel übergab 1961 die Frisörstube seinem Sohn Werner, doch den bekannten und zentral gelegenen Wiesentaler Kiosk, der Anfang der 60er Jahre an die Stelle des Eingangstors gebaut wurde, betrieb er bis zu seinem Tod 1965. Dann saß seine Witwe Salome (genannt d‘ Salme), die Großmutter von Michael Knebel, bis zu ihrem 84. Lebensjahr hinter dem Fensterchen. Nach einer Zeit der Vermietung übernahm ihn 1996 wieder die Familie Michael und Anette Knebel – zuletzt, nach erfolgter Renovierung mit Umbau 2017, die Tochter Julia.
Im Laufe der langen Zeit durften die Kioskbesitzer vieles erleben. Einmal rette sich ein Kind, das von einem vermeintlichen Kinderschänder an der nahen Bushaltestelle bedrängt wurde, in den Kiosk. Die Gendarmerie konnte den Ortsfremden fassen. Zwei schwere Einbrüche und mehrere Ladendiebstähle mit Polizeieinsätzen gehören auch zur Ladengeschichte.
Der heute 53-jährige Michael Knebel erinnert sich gerne an seine Jugendzeit: Im Kiosk sei er groß geworden. Seine Augen leuchten, wenn er an die frischen Mohrenköpfe und den Waffelbruch aus der Wiesentaler Nudelfabrik Josef Schuhmacher denkt. Ein leichter Stoß gegen den Karton – und schon waren zwei, drei Schokoküsse ramponiert und nicht mehr verkäuflich. Mit diesem Trick kam der Junge an seine „Grundnahrungsmittel“. Vor Augen hat er noch die damaligen Wundertüten, die Sammelalben mit Klebebildern und die bunten Brausestängelchen.
Im Advent bietet Freizeitmusiker Michael Knebel mit seiner „WSC-Combo“ im Hof ein kleines familiäres „Weihnachtskonzert“.

Michael Knebel (auf dem Stuhl) und Tochter Julia
Links außen: Der "Eck-Frisör" mit dem alten Eingang, dem Verkaufsladen und den Schaufenstern. Das Bild entstand um 1950. Zu sehen ist noch das Notdach der 1945 abgebrannten Pfarrkirche.
Autor:

Werner Schmidhuber aus Waghäusel

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