Pennsylvania und Pfalz
Reiseverführer Hiwwe wie Driwwe
Nach dem großen Erfolg des Kino-Films „Hiwwe wie Driwwe“ von Benjamin Wagener und Christian Schega ist nun das Buch erschienen, das dessen Hintergründe beleuchtet. Autor Michael Werner untersucht seit rund 30 Jahren Pennsylvanisch-Deutsche Traditionen. Er gibt eine Zeitschrift heraus, von der Film und Buch ihren Namen haben. Rund 400 Unterstützer hatten per Crowdfunding das Buchprojekt unterstützt, das die Geschichte und Gegenwart von Pfälzer Auswanderern in Pennsylvania beleuchtet. Es möchte zu einer Reise in die alte Neue Welt verführen.
Eine dramatische Fluchtgeschichte stand am Anfang. Durch Missernten, Kriege und religiöse Unterdrückung genötigt, machten sich ab 1709 zehntausende Protestanten und Mennoniten aus der Pfalz rechts und links des Rheins auf den Weg. Die Flüchtlinge landeten zumeist mit Umwegen in Pennsylvania. 1776 sprach dort rund die Hälfte der Einwohner ein pfälzisches Deutsch. Heute gehören deren Nachkommen meist einer reformierten Kirche wie der „United Church of Christ“ oder einer mennonitischen Gemeinschaft an. Zu letzteren gehören die Amischen, deren Lebensweise kompakt im Buch dargestellt wird. Sie geben das Auswandererpfälzisch von damals in ihren Schulen an Kinder weiter und fragen erbarmungslos nach dem Gottesdienst: „Was hoscht gelannt (gelernt) heit?“
Religion spielt bei der Pennsylvanisch-Deitsch sprechenden Bevölkerung traditionell eine große Rolle. Werner beobachtet, dass bis heute Himmelsbriefe beliebt seien, in denen sich Gott mit Weisungen an die Gläubigen wendet und die über die Jahrhunderte wie Talismane mit sich geführt wurden. Spannend sind auch protestantische Traditionen, die es einmal in der Pfalz gab und die heute in Pennsylvania noch lebendig sind. Dazu zählt der Belznickel. Bis ins 19. Jahrhundert verkörperte bei den protestantischen Pfälzern dieser Kinderschreck als Begleiter des Christkinds Gut und Böse zugleich, nicht zuletzt, um den Heiligen Nikolaus der katholischen Tradition zu ersetzen. Während in der Pfalz die Tradition verloren gegangen ist, erfährt man im Buch, dass es in vielen Countys von Pennsylvania einen Belznickel vom Dienst gibt, der mit Pelz, Sack und Hörnern auf dem Kopf Kinder erschrecken soll.
Manche Traditionen führt der Autor auf heidnischen Ursprung zurück, einen Urglaawe. Dazu gehöre die Vogelscheuche, die am Murmeltier- oder Grundsaudaach im Februar aufgestellt und zum 31. Oktober verbrannt wird. Überhaupt scheinen die strenggläubigen Pennsylvanier gleichzeitig abergläubig zu sein, was am Beispiel der Braucherei, einer Kunst der weißen Magie, erkennbar sei. Eine weiteres Beispiel seien Symbole wie der Scheunenstern, englisch Hex-Sign, der auf den fünfzackigen, das Böse abwehrenden Drudenfuß zurückgehe. Zum Aberglauben gehöre aber auch die Elbedritsch. Statt einem Spaßvogel unserer Zeit entdeckt Werner in Pennsylvania, dass in der Pfalz die Elwetritsche ursprünglich ein Abbild des Bösen oder von Plagegeistern waren. Wer ein Bild von ihnen auf eine Scheune malt, signalisiert: „Ich kenne dich – bleib weg!“ Warum seit 1891 die Vereinszeitung der Pennsylvania-German Society „Es Elbetritsch“ heißt, wird sicher in der zweiten Auflage verraten.
Der Sprachwissenschaftler Werner untersucht auch den Dialekt. Vieles verbindet gerade darin die vor rund 300 Jahren ausgewanderten Pfälzer noch mit ihrer Heimat. Es gibt Seimaage (Saumagen), Grumbeergnepp (Kartoffelklöße), Beereschnitze (Birnenschnitten) und Latwarick (Marmelade). Werner stellt fest, dass im Pennsylvanisch Deitsch das Schwitzerdütsch der nach dem Dreißigjährigen Krieg in die Pfalz gekommenen Einwanderer noch erkennbar sei. So heißt das Bobbelche dort Bobbeli. Dafür gibt es keine Redewendungen der späteren französischen Besatzer der Pfalz wie das heute allmächtige Alla, das vom französischen Allez abstammt. Es wurden englische Worte eingepfälzert: aus jump, springen, wurde dschumpe. Oder es gibt kreative pfälzische Neuformulierungen wie Guckbox für Fernseher. Bei all dem erstaunt, dass diese Sprache heute extrem schnell zu wachsen scheint, denn gerade die Mennoniten haben traditionell große Familien. Bald könnte es in den USA rund eine Million Pennsylvanisch Deitsch-Sprecher geben – „wann de Ha (Herr) des will“.
Mit dem Buch ist Michael Werner ein großer Wurf gelungen. Viele Pfälzer werden darin viel über ihre eigene Geschichte lernen und sicher auch verführt, selbst einmal in die neue Heimat der damaligen Auswanderer zu reisen.
Tipp: Michael Werner, Hiwwe wie Driwwe. Der Pennsylvania ReiseVerFührer. Neustadt (Agiro) 2021, ISBN 978-3-946587-34-7
Autor:Michael Landgraf aus Neustadt/Weinstraße |
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