Neue Konzepte am Nationaltheater Mannheim – Teil II
Theater clubgerecht serviert

Eddie Irle | Foto: Jessica Bader
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Mannheim. Die Pforten des Nationaltheaters Mannheim bleiben aufgrund von Corona bis September geschlossen. Was bedeutet das für die Künstler? Wie erreichen sie die Zuschauer? In den letzten Wochen haben Ensemblemitglieder kreative Wege gefunden, um weiterhin mit den Zuschauern in Verbindung zu bleiben.

Wochenblatt-Redakteurin Jessica Bader sprach dazu mit Eddie Irle über Auftritte im Autokino und Ungewissheit im Probenprozess.

Den plötzlichen Stillstand hast du genutzt, um dich auf besondere Weise mit Goethes „Faust“ auseinanderzusetzen …

Es war eher so, dass ich den Stillstand genutzt habe, um ein Konzept umzusetzen, das ich schon vor Jahren im Kopf hatte, nämlich das des Live-Hörspiels. Ursprünglich wollte ich einen Shakespeare-Text bearbeiten, aber ich kam nicht so richtig vorwärts. Dann dachte ich, welches Stück kennst du am besten? „Faust“. Das hat mir schon mein Vater vorgelesen, als ich ein kleiner Junge war. Und dann habe ich angefangen, eine eigene Version zu bauen, zusammen mit Naomi Kreutzberg. Genauso wie ich die Krise genutzt habe, um hier am Haus Regie zu führen, hat sie die Krise genutzt, um von der Tontechnikerin zur Sounddesignerin zu avancieren.

Wie genau sieht der Abend denn aus?

Ich wollte große Stoffe clubgerecht servieren. Da sind vier Schauspieler an ihren Instrumenten: Laptop, Loop-Station, Keyboard, Gitarre und Triggerboard. Weil eine körperliche Interaktion zurzeit nicht stattfinden kann, sind wir nur über Augenkontakt miteinander verbunden. Wir spielen das Stück wie ein Konzert, mit viel Musik. Jede Szene hat ihre eigene Atmosphäre, die akustisch vermittelt wird.

Gab es denn schon einen konkreten Ort, an dem ihr spielen wolltet?
Ich war der Meinung, dass man das tatsächlich überall spielen kann, zum Beispiel auch auf dem Theaterdach, während das Publikum auf dem Vorplatz steht. Und dann rief unser Intendant, Christian Holtzhauer, an und meinte: „Eddie, was hältst du denn von Autokino?“ Das fand ich super. Später habe ich dann aber erfahren, dass der Ton ausschließlich über die Autoradios zu hören ist. Das wiederum fand ich total komisch. Ich habe mich gefragt, ob das atmosphärisch überhaupt klappen kann. Aber es funktioniert, die Atmosphäre kommt rüber.

Wie unmittelbar kann Theater, beziehungsweise Performance-Kunst vor Autos sein?
In Worms war es richtig toll, weil du die Leute in den Autos sehen konntest und so auch Kontakt zum Publikum hattest. In Mannheim war es krass, weil das Gelände riesig groß ist. Du kamst dir vor, als würdest du auf einem Hochhaus stehen und unten siehst du irgendwo diese Lichter. Obwohl es vor Autos stattfand, hat es uns so gut getan. Es war, als hätte jedes Auto seinen eigenen Charakter. Und wenn du dann noch die strahlenden Gesichter gesehen hast … Das war etwas Unmittelbares. Es passiert endlich wieder etwas miteinander. Ich habe gemerkt, wie das den Menschen fehlt, nicht nur den Ausführenden auf der Bühne, sondern auch dem Publikum. Ich war richtig gerührt, meine Kollegin neben mir so glücklich zu sehen. Das ist das, was Theater lohnenswert macht, Glück zu haben und Glück zu vermitteln und dann zu sehen, wie es ins Publikum und zurückstrahlt. Vielleicht muss man erstmal alternative Formen suchen, vielleicht muss man mehr raus auf öffentliche Plätze gehen. Aber ich freue mich schon jetzt darauf, dass wir das ab nächster Spielzeit auf der Bühne spielen können.

Ist man in der aktuellen Situation vielleicht sogar freier, weil man Zeit hat, um sich auszuprobieren?
Für mich persönlich war es toll. Ich konnte frei arbeiten und das tun, was ich schon immer machen wollte. Alle, die mitgemacht haben, waren erfüllt von dieser Arbeit. Wir haben allerdings das Privileg, weiterhin bezahlt zu werden. Für die meisten Kunstschaffenden war und ist die Situation aber überhaupt keine Chance, sondern die Hölle. Deswegen kann ich die Corona-Zeit nicht als Chance für Künstler zu sehen, das Gegenteil ist der Fall.

Ihr habt wieder begonnen zu proben. Wie genau sehen die Proben denn aus? Auf welche Spielsituation bereitet ihr euch vor?

Das Proben mit Abstand ist seltsam. Bei der ersten Produktion war das völlig absurd, mittlerweile konnten sich die Regisseure darauf einstellen und das Konzept von vornherein in diese Richtung ausbauen. Momentan probe ich für „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Da keiner weiß, wie es sich noch verändert, müssen wir mit dem planen, was aktuell gilt. Das bedeutet, dass im großen Haus deutlich weniger Menschen sitzen dürfen. Es ist aber gar nicht so, dass ich denke: Jetzt spielen wir da nur vor 100 Leuten. Sondern eher: Endlich spielen wir wieder vor 100 Leuten.

Worauf freust du dich am meisten, wenn der reguläre Vorstellungsbetrieb wieder stattfinden kann?
Ich freue mich am meisten darauf, wieder vor Menschen zu stehen und diese gemeinsame Energie zu spüren. Zuschauer zu sehen, deren Augen leuchten, die einen tollen Abend erleben und danach miteinander darüber sprechen. Das schönste Erlebnis ist, live da zu sein und zu merken, dass du Herzen damit berühren kannst.

Weitere Informationen:

Mehr zu aktuellen und zukünftigen Projekten am Nationaltheater Mannheim finden Interessierte unter www.nationaltheater-mannheim.de


Das Interview mit Robin Krakowski:

Wo sind eigentlich die Zuschauer?

Das Interview mit László Branko Breiding und Arash Nayebbandi:

Die große Ungewissheit

Das Interview mit Ragna Pitoll:

Bei Anruf Lyrik

Autor:

Jessica Bader aus Mannheim

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