Intensivwohngruppe in Germersheim besteht seit zehn Jahren
Wie es ist, wenn man auf der Achterbahn der Gefühle lebt

Borderline ist eine Persönlichkeitsstörung, die viele Ursachen hat. In Germersheim gibt es 14 Wohnplätze für Mädchen ab 14 Jahren. Das Bild ist ein Symbolbild, um die jungen Frauen zu schützen. | Foto:  Anemone/Pixabay
  • Borderline ist eine Persönlichkeitsstörung, die viele Ursachen hat. In Germersheim gibt es 14 Wohnplätze für Mädchen ab 14 Jahren. Das Bild ist ein Symbolbild, um die jungen Frauen zu schützen.
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Germersheim. Mitten in Germersheim wohnen 14 junge Frauen mit Persönlichkeitsstörungen Typ Borderline in der Schlossstraße unter einem Dach. Therapeutisch in einer Intensivwohngruppe des CJD betreut, erhalten sie eine neue Perspektive. Die Wohngruppe gibt es seit zehn Jahren.

Borderline-Wohngruppe mitten in der Stadt

Auf den ersten Blick hört es sich ganz cool an: 14 Mädchen wohnen in der Innenstadt unter einem Dach – aufgeteilt auf zwei Etagen. Jeder hat sein Zimmer und in Küche und Wohnzimmer kann man die Gemeinschaft unter fast Gleichaltrigen genießen. Tatsächlich befinden sich die jungen Mädchen auf der Achterbahn der Gefühle. Patienten mit Borderline-Syndrom werden seit zehn Jahren in der Intensivgruppe des CJD Germersheim rund um die Uhr betreut. Luise (* Name von der Redaktion geändert) ist Borderline-Patientin und lebt seit etwa zwei Jahren in der Wohngruppe. Sie hält einen Tennisball in den Händen. Er soll ihr im Gespräch mit dem Wochenblatt helfen und die Anspannung minimieren.
Die 16-Jährige leidet unter Borderline. „Früher sagte man, dass das Krankheitsbild nicht therapierbar ist“, sagt Marion Willem, Leiterin der Intensivwohngruppe in Germersheim, über die Persönlichkeitsstörung. In Germersheim kämpft das Team um Marion Willem jeden Tag, dass dies doch möglich ist.

Es handelt sich um eine der wenigen vom Dachverband DBT (Dialektisch Behaviorale Therapie) zertifizierten Stationen in Deutschland. Deshalb leben hier Mädchen aus ganz Deutschland. Luise merkt man ihre Krankheit auf den ersten Blick nicht an. Ruhig wirkt das Mädchen. Dass ihre Gefühle regelmäßig Achterbahn fahren, lässt sich nur ahnen, wenn sie ihren Tennisball ununterbrochen in den Händen zusammenquetscht. Luise berichtet nur kurz, was zu ihrem Aufenthalt geführt hat. „Mit meinen Eltern zu Hause war es immer schwierig“, sagt sie. Sie haben nicht gewusst, wie es ihrem Kind geht. Sie haben nicht gemerkt, dass Luise sich selbst verletzt. Ob sie Gewalt oder Missbrauch erfahren hat, sagt sie nicht. Ihre beste Freundin hat damals die Schnittverletzungen an den Armen gesehen und der Schulleitung gemeldet. So erfuhren auch ihre  Eltern davon. Luise kam für drei Monate in eine Psychiatrie. Danach war klar, sie kann und will nicht mehr in ihrem Elternhaus leben. Sie bewarb sich für verschiedene Angebote und kam letztendlich nach Germersheim.

Krankheit hat viele Ursachen

„Viele der Borderline-Patienten sind als Kinder geschlagen oder sexuell missbraucht worden“, sagt Marion Willem. Psychische Erkrankungen, Suchtprobleme der Eltern und Vernachlässigung können neben einer genetischen Veranlagung zu dieser Störung führen. Aber es gebe nicht einen Auslöser und nicht einen Grund, sondern viele Ursachen. Borderline-Patienten leiden unter extremen Stimmungsschwankungen und Anspannungszuständen. Oft werden sie durch ein Lied, einen Geruch oder ein Wort getriggert und an Ereignisse, Erlebnisse und Emotionen aus der Vergangenheit erinnert. Das fühlt sich für viele Betroffene so unerträglich an, dass sie sich selbst verletzten.
Alkohol, Tabletten und Essstörungen sind ebenfalls häufig. „Das sind Versuche, die Hochspannung abzubauen“, sagt Marion Willem. Deshalb haben viele Mädchen einen Notfallkoffer. Das ist eine kleine Handtasche. Da können rote Chillichoten, Pfeffer oder Ammoniak drinstecken. Auf den brennend scharfen Chilischoten herumzukauen soll die Mädchen ablenken und Selbstverletzung verhindern. „Manche Mädchen legen sich auch Murmeln in die Schuhe“, sagt Willem. Es sind „Skills“ gegen das Erregungslevel
Dialektisch Behaviorale Therapie heißt die aus den USA stammende Therapie, zu der ein individueller Notfallkoffer gehört. Die Therapie führt bei zwei Dritteln der Patienten zu einer deutlichen Verbesserung. „Die Mädchen haben gute Chancen nach einer Therapie ohne Einschränkungen zu leben“, sagt Willem. Im Schnitt würden die Bewohner zwei bis drei Jahre in Germersheim bleiben.
Zur DBT-Therapie gehört ein durchstrukturiertes Wochenprogramm mit Einzeltherapie, Achtsamkeit, Stresstoleranz, Ergotherapie und Gemeinschaftsaktivitäten. Und natürlich auch der Alltag mit Kochen, Einkaufen und Aufräumen. Die Bewohner, die schon etwas länger da sind, kümmern sich auch um die schulische Weiterentwicklung. Luise ist schon einen Schritt weiter als viele ihrer Mitbewohnerinnen. Sie arbeitet derzeit via Fernschule auf den Realschulabschluss hin. „In der Zukunft ist das Abitur mein Ziel und ich möchte selbstständig leben können“, sagt Luise. Sie lernt in Germersheim, besser mit ihrem Alltag klar zu kommen.

„Die Therapeuten wollen auch, dass wir soziale Kontakte pflegen“, sagt Luise. Einige von den jungen Frauen nehmen Sportangebote der Germersheimer Vereine wahr, andere engagieren sich beispielsweise im Tierschutz. „Es ist wichtig für die Bewohnerinnen gute Erfahrungen zu machen“, so Willem. Dazu gehört auch, dass sie Fehler machen dürfen und trotzdem gemocht werden.

Konzept besteht seit zehn Jahren 

Die Intensivgruppe in Germersheim des CJD besteht seit dem Sommer 2008. Das Konzept wurde in Kooperation mit dem Pfalzinstitut in Klingenmünster und dem Jugendamt Germersheim entwickelt. Marion Willem weiß, wie sehr die jungen Frauen dafür arbeiten, antrainierte Verhaltensweisen abzulegen. Es gebe immer wieder Rückfälle und Spannungen, aber auch viele positive Ergebnisse. Zu einigen ehemaligen Bewohnerinnen besteht immer noch Kontakt. „Es ist ein tolles Gefühl, wenn die Frauen zurück ins Leben finden“, sagt Willem. Auch wenn der Weg bis in die Selbstständigkeit oft weit ist. Die jungen Frauen kämpfen dafür jeden Tag. jlz

Alle lokalen Nachrichten aus Germersheim gibt es hier. 

Autor:

Wochenblatt Archiv aus Germersheim

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